Memiana 1 - Ewige Wacht: 1 Xeno 1.2 (German Edition)
die hinter dem Tor warteten, und Jarek hörte, wie die Nachricht die Runde machte und dann das Gewirr der Stimmen aufgeregter als zuvor wieder einsetzte.
Irok schluckte einmal, räusperte sich und fragte dann: „Ein Klauenreißer?“
„Nein“, antwortete Jarek leise. „Sechs.“
Iroks Augen weiteten sich ungläubig, dann bemerkte er, dass jeder der Überlebenden die Trophäen der Jagd irgendwo an sich trug, und er trat wortlos zur Seite.
Jarek schritt durch das Tor und blieb stehen.
Sein Vater Thosen stand da und der schlanke, sehnige Clanführer ließ den Blick über die vier Jäger gleiten. Sein neunfach geflochtener Zopf aus weißem Haar hing über seine Schulter und rutschte über den schillernden Panzer aus den Schuppen des Großen Höhlers, als er einen Schritt vorwärts machte.
„Jarek?“ Thosens Stimme war kaum ein Wispern.
Jarek nahm Kobars Kette und Armband aus der Tasche und hielt sie Thosen mit offener Hand hin, holte einmal tief Atem und sprach dann die Worte aus, die alles so endgültig machten: „Vater. Ich bin nun dein Ältester.“
2.
Verluste
J arek zuckte zusammen und tastete nach dem Stecher, aber seine Finger krallten sich nur in faseriges Gewirr. Blinzelnd öffnete er die Augen und sah, dass er nicht mehr im Zwielicht der Klauenreißerhöhle war, sondern auf der weichen Unterlage in seiner Kammer lag. Salas Strahlen fielen durch die vergitterten Öffnungen der großen Kuppel und tauchten alles in den gelben Schein.
Es war nur ein Traum gewesen. Der Augenblick der unendlichen Erleichterung, als sein Warnruf Kobar gerade noch erreicht hatte, der sich zur Seite geworfen und geschickt abgerollt hatte. Ein Traum nur, die riesige Klaue des Reißers, die in ihrem Hieb von unten herauf nur die Luft dort zerfetzt hatte, wo Kobar eben noch gestanden hatte, die drei raschen Schüsse aus dem Splitter, die das Monstrum ins Auge getroffen hatten, das Dröhnen des Steins, als das Ungeheuer tot auf den Boden geschlagen war, Kobars Hand auf seiner Schulter. Der Blick ...
Jarek schüttelte sich, spürte, dass sich die Haare auf den Armen wieder aufgerichtet hatten, und wusste, dieser Traum würde ihn immer wieder einholen. Er würde in der verschlossensten Kammer seiner schlimmsten Erinnerungen lauern, um dann in der Tiefe des Graulichts über ihn herzufallen, und Jarek würde jedes Mal erwachen und wissen, dass es so nicht gewesen war und dass er seinen Bruder nicht wieder sehen würde. Nie wieder.
Kobars Körper hatten sie in der Höhle zurückgelassen. Sie hatten ihn Memiana zurückgegeben, die von ihren vielgestaltigen Kindern die Aaser schicken würde, sich das wiederzuholen, was sie den Menschen ein Leben lang geliehen hatte, und später kämen auch noch die Schader.
Es blieb nie etwas übrig auf Memiana.
Nur Erinnerungen, Schmerzen und Lieder für die Überlebenden.
Jarek erhob sich, rollte das dicke, grüne Mahlvlies zusammen und verschnürte es, sodass sich die Salasteine unter der Ruhestelle wieder mit Wärme füllen konnten, die sie dann beim nächsten Schlaf im Graulicht erneut abgeben würden.
Jarek schaute an sich herab und sah, dass er nur die fein gewebte untere Hose und das untere Hemd trug. Er konnte sich nicht daran erinnern, wie er in den Clanbau gekommen war, wusste nicht, ob er sich ausgezogen hatte, hatte kein Bild davon im Kopf, wie er auf sein Lager gesunken war. Das Letzte, an das er sich erinnerte, war der Eintritt in das Rund des elterlichen Kuppelbaus, der das Hauptgebäude des Clans der Thosen war.
An die Stille, die sich unter den dort versammelten Xeno ausgebreitet hatte.
Jemand hatte sich um ihn gekümmert, hatte ihn gewaschen und versorgt, jemand hatte die vielen Wunden auf seinen Armen und den Beinen mit Paasgrus bestrichen, dem Gemisch aus gerührtem Paas und Heilsteinpulver, das dafür sorgen würde, dass die tiefen Risse und Schnitte verschwinden würden, bis die Pflaster sich von selbst ablösten.
Die Wunden auf dem Körper.
Doch für die im Inneren gab es keinen Verband und keine Heilung.
Jarek drehte sich zur Türöffnung und erstarrte. Am Eingang zu seiner Kammer hatte immer der Flickenvorhang aus Langbeinaaserhaut gehangen. Doch jetzt verdeckte ein schimmernder, finster gestreifter Pelz die Öffnung und schien das Licht anzuziehen und zu verschlucken.
Es war das Fell eines Klauenreißers.
Jarek berührte es mit den Fingerspitzen, glitt mit dem Handrücken darüber, spürte die weichen, aber festen Härchen, dann griff er nach dem Rand und
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