Memiana 1 - Ewige Wacht: 1 Xeno 1.2 (German Edition)
Gelblicht und im Graulicht, ohne zu ruhen.“
„Aber irgendwann muss jeder schlafen.“ Jarek sah traurig zur Kammer seiner kleinen Schwester. „Und dann kommen die Träume“, setzte er bedrückt hinzu.
Wenn jemand Kobar näher gewesen war als er, dann Ili. Jarek wusste jedoch, dass ihn die vielen Aufgaben in der nächsten Zeit ablenken würden.
Sein Leben würde sich ändern, doch nicht in der Weise, die er selbst beschlossen hatte. Er würde Maro nicht verlassen. Er würde nicht den Großen Höhler jagen. Er war jetzt Thosens Ältester. Der Mann, der einmal den Clan anführen würde. Wachdienste, Beschützerpflichten und Jagden würden Jarek beschäftigen und so viele der Gedanken in seinem Kopf in Anspruch nehmen, dass selbst er nicht die ganze Zeit an Kobars Tod denken konnte.
Aber Ili würde Salasteine schnitzen und Graugrus meißeln und hätte nichts anderes vor Augen als das Gesicht des toten großen Bruders. Für lange, lange Zeit.
Jarek erhob sich, nahm Teller und Becher und ging zum Nahrraum. Seine Mutter folgte ihm. Er hörte auch das Trippeln vieler flinker Beinchen; hinter ihnen huschten die Schadlinge heran, um für Memiana den Anteil aus der Opferraute zu holen.
„Wenn du fertig bist, zieh dich bitte an. Wir müssen gehen.“
„Wohin?“ Jarek blieb stehen und schaute seine Mutter fragend an.
„Ich sagte doch, Ili hat ohne Unterbrechung gearbeitet“, erklärte Nari leise. „Sie ist fertig.“
Jarek betrachtete Kobars kraftstrotzende Gestalt, das starke Kinn, den entschlossenen Blick und die immer widerspenstigen, in den dicken Zopf gebändigten Haare und sein Mund wurde trocken. Die lebensgroße Statue stand nun an erster Stelle im Ahnenkreis, der sich spiralförmig ausbreitete und in dem jeder Verstorbene oder Gefallene aus dem Clan der Thosen seinen Platz gefunden hatte und finden würde, bis Thosen irgendwann einmal selbst den Abschluss bildete. Dann wäre das Rund vollendet und direkt daneben würde ein neuer Kreis entstehen, der einen neuen Clannamen tragen würde.
Den der Jarek.
Ili stand neben ihrem Werk, hatte dunkle Ringe der Erschöpfung unter den Augen, aber ihr Blick war klar, als sie den ihres Bruders einfing. Nur zweimal hatten sich Sala und die Monde abgewechselt, bis sie die Statue vollendet hatte. Jarek trat zu seiner Schwester, die fast eine Armlänge kleiner war, obwohl Nari sie schon fünfhundertdreizehn Lichte nach ihm zur Welt gebracht hatte, und nahm ihre Hände in seine.
„Du hast noch nie etwas Schöneres geschaffen“, sagte.
„Und ich habe noch nie mehr bei der Arbeit gelitten.“ Wieder einmal fiel Jarek auf, wie ähnlich Ili ihrer Mutter war. Sie redete genauso leise, aber bestimmt und sprach genau das aus, was sie dachte und fühlte. Doch Ili war auch mehr als Nari. Sie war die beste Steinhauerin und -schnitzerin im Umkreis von vielen, vielen Lichtwegen, wahrscheinlich sogar auf dieser Seite des Raakgebirges. Viele Clans beneideten die Thosen um sie. Viele Clans mussten sich mit weniger vollendet behauenem Stein zufriedengeben, der vielleicht nur eine Ahnung des Menschen vermitteln konnte, an den er erinnern sollte. Unter Ilis Meißel hingegen lebten die Toten weiter.
Es waren alle Mitglieder des Clans versammelt. Mehr als hundert Männer, Frauen und Kinder der Thosen hatten sich auf der felsigen, etwas erhöhten Ebene eingefunden. Das Tor der Ansiedlung war geschlossen. Niemand hatte die Posten auf den Mauern und dem Turm besetzt, niemand vom Volk der Xeno war als Beschützer in den Gassen unterwegs. Doch kein Mensch würde es wagen, in diesem Augenblick den Frieden zu stören. Wenn die Xeno ihren Ahnenkreis erweitern mussten, verharrte die ganze Ansiedlung, die von ihnen geschützt wurde.
Nicht einmal der heruntergekommenste Solo würde es wagen, zu dieser Zeit irgendeine Verrücktheit zu begehen. Die Nachricht würde ihm in alle Richtungen vorauseilen und nie wieder dürfte er durch das Tor einer Stadt oder Ansiedlung treten.
Thosen stimmte das Ahnenlied an, dessen Worte die Toten benannten, deren Statuen hier im Kreis errichtet waren. Alle stimmten leise ein, sangen die Namen der Vorfahren und die Zahl ihrer Lebensumläufe. Am Ende der langen Reihe fügte Thosen alleine mit fester Stimme den Namen seines Ältesten an und die Lichte, die er auf Memiana Boden gehen durfte: sieben Tausende, drei Hunderte, fünf Zehner und vier Ganze. Kobar war keine acht Umläufe alt geworden.
Nari schritt zur Statue des toten Sohnes, öffnete den Beutel, den
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