Memoiren 1945 - 1987
Monat, bei einer bestimmten Stellung des Mondes, war die Differenz zwischen Ebbe und Flut für die Zeit von etwa einer Stunde so gering, daß man ohne Gefahr in die Höhle hineinschwimmen konnte, sonst machte es die Strömung auch dem besten Taucher unmöglich. Außerdem befand sich diese Stelle in dem geschützten Marinepark, und jeder, der dort tauchen wollte, hatte sich erst eine schriftliche Erlaubnis der zuständigen Behörde zu beschaffen. Die großen Barsche waren geschützt, und die Wasserpolizei überwachte diese Maßnahme. Schließlich durften im Höchstfall nur vier Taucher für eine knappe Stunde in die Grotte hinein. Da fast jeder, der hier tauchte, dieses seltene Schauspiel erleben wollte, war es wie das große Los, wenn man den Schein bekam.
Ich hatte das Glück, es mit Stolli und Horst zweimal zu erleben. Nach ungefähr 20 Minuten Bootsfahrt waren wir an der Stelle. Nichts verriet auf der Wasseroberfläche, was unter ihr verborgen war. Beim Abtauchen fand Stolli den Höhleneingang sofort. Hunderte großer Fische deckten ihn wie einen lebenden Vorhang zu. Was wir dann sahen, war atemberaubend. Sonnenstrahlen, die durch ein Loch in der Höhlendecke drangen, durchfluteten die Grotte. Im Gegenlicht sahen wir die großen Barsche im Kreis herumschwimmen. Zum Greifen nah zogen sie langsam an uns vorbei. Der Boden, die Decke und die Wände waren bunt wie Perserteppiche, und in ihnen versteckten sich kleine farbige Lobster, bewachsene Muscheln, die aussahen, als blühten auf ihnen Vergißmeinnicht und rosa Heckenröschen, Tubkorallen in vielen Farben, Seesterne und Austern, aber auch Feuerfische. Eine solche Üppigkeit von Korallen und Meeresbewohnern hatte ich noch nie zuvor erlebt. Viel zu bald mußten wir diese Wunderwelt verlassen.
Die Woche, die wir noch vor uns hatten, wollten wir auf der Insel Mafia in Tansania verbringen, die gute Tauchgründe haben sollte. Stolli, der sie empfohlen hatte, warnte uns vor den starken, tückischen Strömungen, die es dort an verschiedenen Stellen gibt. Am nächsten Nachmittag waren wir schon dort. Von Dar-es-Salaam hatte uns eine kleine Verkehrsmaschine auf die Insel gebracht. Bevor wir in das Flugzeug einstiegen, kam es zu einer Szene mit einer
italienischen Tauchgruppe, die bündelweise Harpunen mit sich führte. Ich hasse Harpunen. Sie vernichten das Leben in den Korallenriffen. Aber ich konnte nichts ausrichten, die Italiener nahmen die Harpunen mit. Schon am ersten Tag mußten wir mit ansehen, wie sie Wettbewerbe im Harpunieren veranstalteten. Als sie mit ihren Booten zurückkamen und ihre Beute auf den Strand warfen, waren es nur kleine Schmetterlings- und Kaiserfische, die, fast zerfetzt, wieder ins Meer geworfen wurden. Sieger im Wettbewerb war nicht, wer den größten Fisch harpuniert hatte, sondern wer die meisten vorweisen konnte. Diese «Supermänner» schossen alles ab, was sich bewegte, und ihnen ist es zuzuschreiben, daß in einer kurzen Zeitspanne dieser herrliche Fischbestand an den Riffen mehr und mehr dezimiert wird. Um diese Taucherparadiese im letzten Augenblick zu retten, gäbe es nur eine sehr rigorose Maßnahme: Ohne Rücksicht auf die Harpunenfabrikanten und die Vereine, die das Harpunieren noch immer als eine «Sportart» betreiben, sollte die Harpunenjagd weltweit verboten werden. Auch die Vernichtung der Riffe durch Dynamitsprengungen ist von kaum zu begreifender Kurzsichtigkeit. Auf diese Weise wurden auch die meisten der vor Dar-es-Salaam liegenden Korallenriffe zerstört.
Trotzdem war das Tauchen von der Insel Mafia ein Höhepunkt. Wo immer wir tauchten, glaubten wir uns in einem Aquarium zu befinden. Hier sah die Welt unter Wasser noch so aus, wie Costeau sie in einem seiner ersten Filme, «Die schweigende Welt», gezeigt hatte.
Eine nie wiederkehrende Chance
W enige Tage vor unserem Aufbruch in München, am 9 Februar 1977 — diesen Tag habe ich mir im Kalender rot angestrichen —, kamen drei Chefredakteure des «stern», Nannen, Gillhausen und Winter. In einer zehnteiligen Serie sollte ich in Text und Bildern über mein Leben berichten. Anläßlich meines 75. Geburtstages sollte die Serie erscheinen. Das Honorar war sagenhaft. Nannen wußte, daß alle Versuche, meine Memoiren zu schreiben, bisher scheiterten. Ein Schriftsteller oder ein guter Journalist sollte nach Tonbandgesprächen den Text verfassen, wofür uns allerdings nur sechs Wochen zur Verfügung standen. Es war mir klar, daß sich mir nie wieder eine solche
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