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Menetekel

Menetekel

Titel: Menetekel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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Naturwissenschaften beschäftigt. Selbstverständlich glaube ich an die Evolution. Nur ein engstirniger Schwachkopf würde das nicht tun.» Sie verzog das Gesicht, und er merkte es. «Überrascht Sie das?»
    «Kann man wohl sagen.» Sie lachte verlegen.
    «Das sollte es nicht. Andererseits konzentriert sich der Glaube in Ihrem Land dermaßen darauf, sich gegen die Naturwissenschaften und die lauten Stimmen der Atheisten zu behaupten, dass eure Prediger völlig aus dem Blick verloren haben, worum es beim Glauben eigentlich geht. Bei uns in der griechisch-orthodoxen Kirche und in den östlichen Religionen wie dem Buddhismus und Hinduismus dient der Glaube nicht dazu, Theorien oder Erklärungen anzubieten. Wir akzeptieren, dass das Göttliche unfassbar ist. Aber für Sie und viele andere rationale Menschen ist eine Gewissensfrage daraus geworden. Fakt oder Glaube. Wissenschaft oder Religion.» Er machte eine Pause. «Man sollte keine Entscheidung treffen müssen.»
    «Aber es lässt sich doch nicht miteinander vereinen.»
    «Doch, selbstverständlich. Es müsste gar kein Wettstreit sein. Das Problem liegt bei euren Predigern – und euren Wissenschaftlern. Sie treten sich gegenseitig mit großen,schweren Stiefeln auf die Füße. Sie begreifen nicht, dass Religion und Wissenschaft unterschiedlichen Zwecken dienen. Wir brauchen die Wissenschaft, um zu begreifen, wie die Welt funktioniert – wir, die Natur, alles um uns herum. Das ist ein Fakt, den kein denkender Mensch bestreiten wird. Aber wir brauchen auch die Religion. Nicht, um alberne Theorien über Dinge aufzustellen, die wissenschaftlich erforscht werden können. Wir brauchen sie für etwas ganz anderes, um ein anderes Bedürfnis zu stillen. Das Bedürfnis nach Bedeutsamkeit. Es gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Und es bleibt dem Reich der Wissenschaft verschlossen. Ihre Wissenschaftler begreifen nicht, dass sie dieses Bedürfnis nicht befriedigen können, und wenn sie noch so viele Teilchenbeschleuniger und Hubble-Teleskope bauen – und eure Prediger begreifen nicht, dass es ihre Aufgabe ist, den Menschen dabei zu helfen, ein persönliches, inneres Gespür für Bedeutsamkeit zu entwickeln, anstatt sich wie eine Horde Fanatiker zu benehmen, die den Rest der Welt bekehren und mit ihren rigiden, bibeltreuen Ansichten davon überzeugen wollen, wie der Mensch zu leben habe. In Ihrem Land und in den islamischen Ländern ist Religion kein spirituelles Anliegen mehr, sondern ein politisches. ‹Gott ist auf unserer Seite› – das ist alles, was ich aus Ihren Kirchen zu hören bekomme. Aber es ist nicht das, was sie predigen sollten.»
    «Bei den Konföderierten hat es jedenfalls nicht geklappt, hm?», scherzte Gracie.
    «Gott für sich zu reklamieren, ist sehr effektiv, wenn man Massen mobilisieren will. Oder Wahlen gewinnen, natürlich.»Pater Hieronymus seufzte. «Alle berufen sich früher oder später auf Gott.»
    «So wie sich jetzt alle auf Sie berufen.»
    «Im Ernst?» Er klang neugierig.
    «Wir sitzen schließlich gerade in diesem Flugzeug, oder nicht?»
    Ihre Bemerkung schien einen wunden Punkt zu treffen. Er verfiel in nachdenkliches Schweigen.
    «Allerdings», überlegte sie, «steht den Leuten eine Überraschung bevor. Ich bin jedenfalls überrascht. Sie sind viel weniger dogmatisch, als ich gedacht hätte. Viel aufgeschlossener. Geradezu bestürzend aufgeschlossen.»
    Der Priester schmunzelte. «Ich habe viel erlebt. Ich habe erlebt, wie gute, freundliche, großzügige Menschen sehr selbstlos handelten. Und ich habe erlebt, wie andere die grässlichsten Dinge taten. Und das ist es, was uns Menschen ausmacht. Wir haben unseren Verstand. Wir treffen Entscheidungen und leben mit ihnen. Wie wir unser Leben gestalten, äußert sich in unserem Verhalten anderen gegenüber. Und Gott – was immer dieses Wort bedeutet – ist genau das. Wir spüren seine Gegenwart jedes Mal, wenn wir eine Entscheidung treffen. Es ist etwas in unserem Inneren. Alles andere ist letztlich   … aufgesetzt.»
    «Aber Sie sind ein Kirchenmann. Sie tragen das hier.» Sie zeigte auf das Kreuz, das ihm an einem Lederriemen um den Hals hing. «Wie können Sie da so etwas sagen?»
    Sie glaubte, eine gewisse Nervosität in ihm zu spüren, eine Unsicherheit, als wäre das etwas, womit er selbst haderte. Er sah sie nachdenklich an, dann fragte er: «Als dasZeichen erschienen ist   … haben Sie dort oben ein Kreuz gesehen?»
    Gracie wusste nicht recht, worauf er hinauswollte.

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