Menetekel

Overalls. Gutfrisierte texanische Damen mit eleganten Schals aus Europa neben Stripperinnen mit toupierten Haaren und paillettenbesetzten Cowboyhüten. Weiße, Schwarze und Latinos, Dicke, Dünne, Große, Kleine, alle trunken vor Erwartung, berauscht von dem Gedanken, gleich die Gegenwart eines neuen Messias zu erleben, aufgekratzt, voller Vorfreude. Sie umarmten und küssten einander, sie winkten sich zu und plauderten und sangen dieLieder von Casting Crowns und Bethany Dillon mit, die aus den Lautsprechern plärrten.
    Matt sah zum Spielfeld hinab und stellte fest, dass sie mit ihrer Einschätzung richtiggelegen hatten. In der Mitte war eine große Bühne aufgebaut worden, drum herum ein breiter Fotograben, in dem es von Fernsehteams, Reportern und Fotografen wimmelte. Ihre Bilder und Berichte würden um die Welt gehen. Matt warf einen Blick auf die Anzeigetafel. Dreizehn Uhr. Um siebzehn Uhr sollten die Festlichkeiten beginnen, um achtzehn Uhr Pater Hieronymus auftreten. Damit blieben ihnen vier Stunden. Das klang nach viel Zeit, aber es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis hierher zu kommen. Sich durch die Massen zu schieben war wie durch Gelatine zu schwimmen. Und sie konnten zwar in der Menge nur schwer ausgemacht werden, aber gleichzeitig sahen sie auch kaum, was sich über den wogenden Köpfen und hinter den sich aneinander vorbeischiebenden Bäuchen verbarg – nicht einmal Matt mit seinen ein Meter neunzig.
    Er ließ seinen Blick über die endlosen Sitzreihen schweifen. Sie hielten nach einem Sender Ausschau, der ins Handgepäckfach eines Flugzeugs gepasst hätte.
    «Wo fangen wir an?», fragte Gracie.
    Matt zog die Schultern hoch. Die Aufgabe war entmutigend. Sie mussten das Suchgebiet eingrenzen, wenn sie irgendeine Chance haben wollten. Er sah sich um, versuchte sich den unsichtbaren Kegel vorzustellen, der den intelligenten Staub zum Leben erwecken würde, das Zeichen, das im Luftraum über dem Spielfeld schweben würde. Von welchen Punkten aus ließ es sich am besten kontrollieren?Ihm fielen die Reihen der Logen ins Auge. Sie boten sowohl eine gute Sicht als auch ein gewisses Maß an Abgeschiedenheit. Der obere Rang kam nicht in Frage. Sie befanden sich bereits zu dicht an der Dachkonstruktion. Er glaubte nicht, dass man von dort aus einen günstigen Winkel hatte, wenn das Zeichen in den Himmel über dem Stadion aufsteigen sollte. Blieben die beiden darunterliegenden Reihen im vierten und zweiten Rang sowie die Vereinslogen im dritten Rang. Insgesamt sechs Reihen.
    «Da oben», antwortete er und zeigte auf die oberen Logen. Sie würden oben anfangen und sich langsam nach unten arbeiten.
     
    In einer abgelegenen Ecke der Parkplätze kauerte Dalton hinten auf der Ladefläche des SUV und steckte die Skycam zusammen, befestigte die Kamera im Geschirr. Er hatte den Lithiumakku über Nacht aufgeladen, er war randvoll. Während er das Fluggerät einsatzbereit machte, sah er immer wieder nervös nach draußen. Er konnte nichts dagegen machen. Die Tatsache, dass Finch so eiskalt und beiläufig ermordet worden war, setzte ihm zu. Mit Milizen und wütenden Mobs im Nahen Osten kam er klar. Aber schweigende Killer in schwarzen Roben, die sich im Verborgenen an einen heranschlichen und vom Hausdach stießen – die bereiteten ihm eine Gänsehaut.
    Er überprüfte noch einmal die Fernsteuerung. Stellte zufrieden fest, dass alle Anschlüsse stimmten, legte sie wieder beiseite, sah auf die Uhr. Keine drei Stunden mehr. Die Skycamwäre zwar sehr nützlich beim Absuchen der Umgebung gewesen, aber sie hatten beschlossen, sie erst einzusetzen, wenn das Zeichen erschienen war. Davor war es zu riskant. Sie wollten vermeiden, dass irgendein aufgewühlter Pilger oder ein Cop sie kurzerhand abschoss – von Druckers Leuten ganz zu schweigen. Sie würden sich die Gegend um das Stadion höchstens zu Fuß vornehmen können, solange es noch hell war.
    Er sah sich um. Es würde nicht leicht werden. Überall waren Autos, überall Menschen, die sich um die hoch aufragenden Stadionmauern drängten. Er versuchte das Bild abzuschütteln, wie Finch vom Dach herabgestürzt kam, und warf einen Blick auf Rydell, der vorn am Kotflügel lehnte. Sie sollten sich besser auf die Suche machen.
     
    Keenan Drucker warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Noch zwei Stunden. Er runzelte die Stirn. Die Entwicklung gefiel ihm nicht. Überhaupt nicht.
    Dass sie Rydell verloren hatten, war ein enormer Rückschlag. Zumal er sich nicht sicher war, in welcher