Menetekel
dass kein Zufallsmuster dahintersteckt. Es zeigt sich ausgerechnet an Orten, die man nur als Katastrophengebiete bezeichnen kann. Das Schelfeis in der Antarktis birst auseinander, und dieser Gletscher hier ist ein zweites Ground Zero. Sehen Sie, ich beschäftige mich jetzt seit zwanzig Jahren mit diesem Gebiet.» Er deutete auf die grauweiße Ausdehnung hinter sich. «Als ich anfing, war die Landschaft hier strahlend weiß. Nichts als Schnee und Eis, das ganze Jahr über. Nun ist sie eher blau als weiß. Das Abschmelzen geschieht so schnell, dass ständig neue Seen und Flüsse entstehen. Das Schmelzwasser arbeitet sich zum Grundgestein vor und sorgt für eine Ablösung der Gletscher, weshalb sie nun begonnen haben, in Richtung Meer zu rutschen. Setzt sich diese Entwicklung fort, kommt es zu einer weltweiten Erhöhung des Meeresspiegels um einen Meter. Was albtraumhafte Umwälzungen zur Folge haben könnte. Wenn Sie also von mir wissen wollen, was hier gerade geschieht, dann liegt die Antwort für mich auf der Hand: Die Natur meldet uns Alarmstufe Rot, und ich denke, wir sollten dieses Menetekel ernst nehmen, bevor es zu spät ist.»
Es folgte ein Zusammenschnitt der Reaktionen. Wieder waren die Bilder atemberaubend. Unter dem riesigen Bildschirm auf dem Times Square hatte sich eine ungeheure Menschenmenge versammelt. Vergleichbare Szenen spielten sich in London, Moskau und anderen Großstädten ab. Was die erste Sichtung an Aufmerksamkeit gesät hatte, erntete nun die zweite. Die ganze Welt horchte auf, verfolgte aufmerksam, was geschah.
Gracie sah zu Dalton und Finch und spürte, wie sich Beklommenheit in ihr ausbreitete. Hier geschah etwas noch nie Dagewesenes, etwas Gewaltiges und Wundervolles und Unergründliches und Erschreckendes zugleich – und sie war mittendrin.
Sie schreckte hoch, als das Satellitentelefon klingelte. Es war Ogilvy, der sie wie vereinbart von seinem Handy aus anrief.
«Ich habe gerade einen Anruf aus dem Pentagon bekommen», informierte er sie. «Zwei von denen sind gerade bei der McMurdo-Station gelandet und haben erfahren, dass ihr euch aus dem Staub gemacht habt. Die sind vielleicht sauer.» Er lachte fröhlich.
Gracie runzelte die Stirn. «Was haben Sie ihnen gesagt?»
«Nichts. Das hier ist immer noch ein freies Land. Oder so was Ähnliches. Aber sie werden eure Spur bald bis zum Flughafen in Kairo verfolgt haben – wenn sie es nicht sowieso schon wissen. Von dort aus … wer weiß. Vielleicht schaltet ihr besser die Handys aus.»
«Wir haben hier ohnehin keinen Empfang. Aber wirmüssen in Kontakt bleiben. Hier draußen ist man ganz schön abgeschnitten.»
«Checkt stündlich euer Satellitentelefon. Ich schicke euch eine Textnachricht, wenn sich irgendwas tut.»
Seine Gelassenheit war beeindruckend. «Einverstanden», sagte Gracie. «Ich gebe Ihnen noch die Festnetznummer des Klosters durch, nur für den Fall.»
«Gut.» Ogilvys Tonfall wurde ernster. «Haben Sie schon mit Pater Hieronymus gesprochen?»
«Nein, wir sind gerade erst angekommen.»
«Sprechen Sie mit ihm, Grace. Und zwar bald. Die ganze Welt sieht zu. Wir müssen in Führung bleiben. Noch macht sie uns niemand streitig.»
Gracies Kehle schnürte sich zusammen. Sie warf einen Blick auf die Mönche und entfernte sich ein paar Schritte. «Wir müssen vorsichtig sein, Hal», sagte sie leise. «Wir können das nicht einfach so rausposaunen, ohne Sicherheitsvorkehrungen.»
«Was wollen Sie damit sagen?»
«Wir befinden uns hier in einem muslimischen Land. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass man einer Sache gegenüber freundlich eingestellt sein wird, die nach der Wiederkunft Christi vor der eigenen Haustür riecht.»
«Das erste Mal ist er doch auch bei denen aufgetaucht», sagte Ogilvy trocken.
«Hal, im Ernst. Wir müssen das Ganze vorsichtig angehen. Falls es Ihnen bisher entgangen sein sollte, ist dieser Teil der Welt nicht gerade für seine Toleranz berühmt. Ich möchte Pater Hieronymus keiner Gefahr aussetzen.»
«Ich möchte niemanden irgendeiner Gefahr aussetzen.» Ogilvy klang ein wenig gereizt. «Wir werden vorsichtig sein. Reden Sie mit ihm. Dann sehen wir weiter.»
Gracie fand das nicht gerade beruhigend. «Ich melde mich, sobald ich mit ihm gesprochen habe.» Sie ließ das Telefon zuschnappen und wandte sich zum Abt um. Eine Sache gab es da noch. «Diese Aufnahmen, die die Dokumentarfilmer in der Höhle gemacht haben – können wir sie uns ansehen?»
«Selbstverständlich. Sie sind
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