Mensch, Martha!: Kriminalroman
müssen über die
Sprechstundenhelferin herausfinden, ob er seinen Kittel noch trug
oder ob der schon bei der Wäsche war«, sagt Martha und drückt die
Zigarette am Treppenabsatz aus.
»Das kann Becker übernehmen.
Der macht so was gerne«, meint Thomas.
»Und falls der Kittel schon
weg war, hat Nicole die Unwahrheit gesagt«, seufzt Martha,
»zumindest in diesem einen Punkt.« Lieber Gott, dieses Gebet ist
ganz niederträchtig. Erhöre es trotzdem. Bitte, bitte sei so gut
und lass ihre Geschichte wahr sein!
Marthas zweite Zigarette ist
lange schon zu Ende geraucht, als die Vorzimmerdame sie hereinbittet. Wenn der Steuerzahler das wüsste! Wie viel Zeit wir manchmal
verplempern!
Herr Körner bittet sie in sein
Büro. In der Ecke steht ein kleines Tischchen mit vier unbequemen
Stühlen. Er bietet ihnen Platz an, er selbst bleibt stehen. »Es ist
ziemlich unangenehm für mich, die Polizei im Hause zu haben. Ich
möchte Sie deshalb bitten, die ganze Angelegenheit schnell und –
ich sag mal: lautlos – hinter uns zu bringen. Verstehen wir uns?«
Er zwinkert Thomas zu.
Männer wie du und ich.
Thomas ignoriert Körners
Prolog. »Wir haben noch Fragen an Nicole. Wenn Sie so freundlich
wären sie zu holen?«
»Ja, selbstverständlich. Aber
wie gesagt ... na, Sie wissen schon, was ich meine!« Obwohl der Weg
zu seinem Schreibtisch weiter ist als zur Zimmertür, weist er seine
Sekretärin über die Sprechanlage an, Nicole aus der Wohngruppe zu
rufen. Es dauert ein paar Minuten, bis sie eintrifft. Bis dahin
gibt er ein Statement zum Thema Verantwortung für über sechzig
Kinder ab.
Nicole wirkt weniger
angegriffen als vor zwei Tagen. »Hi, Nicole!« Martha streckt
ihr die Hand entgegen. »Das ist mein Kollege Thomas Hiller. Es
stört dich doch nicht, wenn er dabei ist?« Nicole schüttelt
den Kopf und setzt sich. »Wir sind hier, weil wir noch ein paar
Fragen an dich haben.«
»Ich hab aber schon alles
gesagt!«
Martha stellt das Tonbandgerät
auf den Tisch und schaltet es ein. »Ich weiß. Aber wir haben
inzwischen Herrn Radspieler gesprochen und er sieht die Angelegenheit
anders.«
»Sagen Sie bloß, dieses
Dreckschwein läuft noch immer frei herum«, schreit Nicole
aufgebracht.
»He, he, he, junge Dame!«
mischt sich Körner ein. »Halt’ dich zurück!«
Sie blickt ihm aufmüpfig ins
Gesicht. »Er hat sich an mich rangemacht!«
»Das ist noch nicht erwiesen.«
»Für mich schon. Ich weiß es
genau, wo er seine Finger gehabt hat. Möchten Sie es auch wissen?«
»Also, so wird das hier
nichts!« geht Martha dazwischen. »Wir führen hier eine Ermittlung.
Das ist keine Talkrunde am Nachmittag!« Sie wendet sich direkt
an Körner. »Entweder Sie halten sich zurück oder wir brechen
hier gleich wieder ab und führen das Gespräch auf der
Dienststelle. Verstanden?«
Körner schnappt nach Luft.
»Ich bin es nicht gewohnt, dass jemand so mit mir spricht!«
protestiert er.
»Und ich bin es nicht gewohnt,
dass ich behindert werde, wenn ich meine Arbeit machen will!«
Thomas klappt unauffällig den
Daumen der rechten Hand nach oben.
»Nicole, ich bitte dich nun,
mir noch einmal der Reihe nach zu erzählen, was sich am Freitagabend
in der Praxis von Dr. Radspieler abgespielt hat.«
»Ich will überhaupt nicht
mehr darüber reden. Ich will, dass Sie ihn einlochen.«
»So einfach geht das nicht.
Wir brauchen deine Aussage.«
»Die haben Sie schon längst.«
Martha rutscht ungeduldig auf
ihrem Stuhl herum. Sie will vor diesem Heimleiter
nicht reden. Das ist es. »Möchtest du alleine mit uns
sprechen?«
»Na hören Sie mal!« schaltet
sich Körner wieder ein. »Ich habe ein Recht darauf dabei zu sein.
Ich habe sogar die Pflicht!«
»Ich will überhaupt nicht
mehr darüber reden!«
»Hör mal zu«, versucht es
Thomas, »so einfach ist das nicht. Du hast einen ersten Schritt
unternommen und bist zu uns gekommen. Jetzt musst du uns auch helfen,
damit wir unsere Arbeit tun können.«
Nicole blickt in die Runde.
»Also gut«, sagt sie matt.
»Erzähl einfach der Reihe
nach«, fordert Thomas sie auf.
»Ich hatte Bauchweh und da bin
ich mit dem Bus in die Praxis von ihm gefahren.«
»Wie ist das hier denn
geregelt?« hakt Martha nach. »Meldest du es deinen Erziehern, wenn
du einen Arzt aufsuchst, oder gehst du einfach von dir aus?«
Nicole sieht zu Körner. Er
antwortet für sie. Martha gefällt das nicht.
»Normalerweise melden sich die
Kinder bei uns krank. Und wir entscheiden dann, ob ein
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