Mensch, Martha!: Kriminalroman
sympathisch wie
dein Rainer. Es stimmt, wir kennen uns von der Dienststelle. Aber wir
arbeiten nicht zusammen, sondern sozusagen gegeneinander. Er ist
ein sogenannter Tatverdächtiger!«
Barbara bleibt unbeeindruckt.
»Aber offensichtlich kein Täter. Sonst würde er jetzt nicht so
frei herumspazieren, oder?«
»Du hast doch überhaupt keine
Ahnung!«
Marthas Mutter kommt. Es ist
halb sieben, der Laden ist geschlossen.
»Was war denn das für ein
netter Mann?« fragt sie und Martha glaubt zu wissen, wie das Lächeln
auf ihrem Gesicht zu deuten ist. Dieses Lächeln ist ein rotes Tuch
für Martha. »Der nette Mann ist ein Kinderarzt«, erklärt Martha.
Ihre Mutter bemerkt die Kühle in ihrer Stimme nicht. »Ach!«
Dem Lächeln wird ein freundliches Nicken zugeschaltet. »Er hat sich
an Kindern vergriffen«, ergänzt Martha emotionslos. Sie ist sich im
Klaren darüber, dass sie Tatsachen nicht richtig darstellt. Was
soll’s? Hauptsache, dieses Schwiegermutterlächeln
verschwindet aus ihrem Gesicht! Sie genießt es, dass nicht
nur Lächeln, sondern auch die Farbe aus dem Gesicht der Mutter
weichen. Sie fühlt sich fast so gut wie nach dem ersten Zug an
einer Zigarette. Ein befreiendes Gefühl rieselt durch ihren
Körper.
»Und wieso ist er dann nicht
im Gefängnis?« fragt Barbara sachlich.
Marthas Mutter hört Barbaras
Einwand nicht. Sie blickt fassungslos zwischen Rebekka und
Martha hin und her. Martha fragt sich, ob Rebekka den Sinn der Worte
verstanden hat. Wahrscheinlich schon. Das ist das einzige, was
ihr an dieser Situation Unbehagen bereitet. Ansonsten gefällt
sie ihr. Sie ist ausbaufähig! »Ein Mädchen hat Anzeige
erstattet. Schlimmste Details geschildert. Ich ermittle gegen ihn!«
Ihre Mutter blickt sie entsetzt
an, als hätte sie eine todbringende Seuche in ihr Haus geschleppt.
»Und was hat der Mann hier zu suchen?«
»Tja, vielleicht hättet ihr
ihn fragen sollen, bevor ihr ihn hereinbittet!«
Barbara zieht die Augenbrauen
hoch und sieht ihre Schwester an. Sie durchschaut das Spielchen. Ein
Zweikampf zwischen Mutter und Martha. Nicht mehr, nicht weniger.
»Es ist dein Beruf«, stellt
Marthas Mutter fest. »Du hast ihn dir selber ausgesucht. Du wolltest
mit Kriminellen zu tun haben!«
Der Kreis hat sich
geschlossen. Alle Diskussionen mit ihrer Mutter enden an
diesem Punkt: falscher Beruf – falsches Privatleben. Martha hat
manchmal das Gefühl, selber falsch zu sein.
»Hol deine Sachen, Rebekka!«
Rebekka zögert. Sie findet den
Disput zwischen ihrer Mutter und Oma spannend.
»Komm, ich helfe dir«, sagt
Barbara und schiebt sie aus dem Wohnzimmer.
»Musst du so unverblümt vor
dem Kind reden?«
»Musst du ewig an mir
herumkritisieren?«
Marthas Mutter seufzt, als
würde ein Felsbrocken auf ihrer Brust liegen.
»Es vergeht einfach kein Tag,
an dem ich mich nicht frage, was aus dir und Rebekka noch werden
soll. Ich frage mich wirklich, wann du anfängst, dein Leben in die
Hand zu nehmen.«
Martha ist zu erschöpft, um
etwas zu sagen. Irgendwie wurde alles auch schon mal gesagt.
»Und noch etwas. Es geht mich
zwar nichts an ...«
Martha spürt, dass gleich ein
Hammer auf sie herabsausen wird.
»... Aber deine Kleidung finde
ich ganz schön unpassend für deine Arbeit. Der kurze Rock und
so ...«
Nein, es geht dich wirklich
nichts an .
Endlich kommt Rebekka
angehopst. Martha nimmt sie an der Hand und beeilt sich wegzukommen.
Es bleibt keine Zeit mehr für ein Küsschen zwischen Oma und
Enkelkind.
»Ich lass mir eine
Charaktertransplantation machen«, sagt Martha, als sie das Haus
verlässt.
–10–
Am nächsten Tag kann Martha nicht mehr
nachvollziehen, woher die Verwegenheit gekommen war, diesen
kurzen Rock zu kaufen. Sie seufzt, hängt ihn auf einen
Kleiderbügel und lässt ihn in den Tiefen des Schranks verschwinden.
Noch ehe sich die Schiebetür
des Lifts ganz geöffnet hat, erkennt sie ihn. Er sitzt am Ende des
Korridors auf einem der Besucherstühle. Er liest in einer
Zeitung. Schlimmer kann ein Arbeitstag nicht beginnen!
Als er Martha wahrnimmt, faltet
er die Zeitung zusammen. Er trägt eine Brille, die er sofort
abnimmt. Harry Potter in der Midlife crisis. Briella hätte
dir dieses Gestell niemals empfohlen.
»Guten Morgen Frau
Morgenstern.«
Ach, leck mich. »Guten
Morgen. Was wollen Sie?«
»Mit Ihnen reden.«
»In Ordnung.« Martha schließt
ihre Bürotüre auf. »Nehmen Sie dort Platz. Ich komme sofort.«
Sie weiß selber nicht genau
warum, jedenfalls tut es ihr
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