Mensch, Martha!: Kriminalroman
sich während der Fahrt so etwas wie
ein Gespräch entwickelt. »Lass das Mädchen mit ihren Eltern
telefonieren.«
»Und warum sollte ich das?«
»Weil es schwer asthmakrank
ist. Seine Eltern wissen nicht, ob es ihm gut geht.«
Zeller bläst ein verächtliches
pha! durch die Lippen. »Du hast vielleicht Sorgen! Was gehen mich
diese Eltern an?«
»Lass die Kleine telefonieren.
Es hilft ihr durchzuhalten, wenn sie mit Vater oder Mutter gesprochen
hat.«
Claus Zeller gefällt sich in
dieser Rolle. Er wird um etwas gebeten, fast angebettelt. Von
einem erwachsenen Mann, der auf seinem laufenden Konto über
vierzigtausend Euro hat, den die Leute mit Herr Doktor grüßen. »Und
was habe ich davon?«
Radspieler durchschaut seine
Gedankengänge. »Wahrscheinlich hast du tatsächlich nichts davon.
Du hast es bloß in der Hand, ja zu sagen. Lass sie mit den Eltern
reden. Bitte.«
Zeller grinst in sich hinein.
»Ich werde darüber nachdenken.«
Er schubst Radspieler die
Treppe hoch, öffnet die Tür und versetzt ihm einen Stoß. Er
fühlt sich regelrecht beflügelt, weil jemand, der im Normalfall nur
auf ihn herabblicken würde, sich
vor ihm in den Staub wirft.
»Gib mir den Tascheninhalator.
Die anderen Sachen sind nur für den Notfall. Aber den Inhalator
braucht sie sofort.« Radspieler hat Sorge, dass Zeller seine
Überlegenheit auch an diesem Punkt auskosten wird. Aber er legt
das kleine Gerät auf den Tisch. »Und wie gesagt. Über das
andere denke ich nach. Weiß noch nicht, wie ich mich entscheiden
werde!«
Rebekka schläft. Sie hat sich
unter der Decke zusammengerollt. Ihr Atem geht ruhig. Radspieler ist
erleichtert. Besser hätte sie die letzte Stunde nicht überstehen
können. Es tut ihm leid, sie wecken zu müssen und er zögert einen
Augenblick. Aber es hilft nichts. Alles hängt jetzt von Rebekka
ab. Vielleicht bleibt nicht viel Zeit.
Er will unbedingt vermeiden,
dass Rebekka aus dem Schlaf hochschreckt. Aber er hat nicht
einmal die Möglichkeit, sie leicht zu rütteln. Er kniet sich
auf die Decke.
»Rebekka!« flüstert er an
ihr Ohr. Sie schläft tief.
Er räuspert sich. »Rebekka!«
Er reibt sein Kinn an ihre Wange. »Wach auf!«
Sie öffnet die Augen und
braucht weniger als eine Sekunde, um sich zurechtzufinden.
»Du bist zurück. Warst du
lange weg?« Sie schiebt die Jacke zur Seite und schlingt die Arme um
seinen Hals.
»Nein, überhaupt nicht.«
Er fürchtet, Erwartungen in
ihr zu wecken, die dann nicht erfüllt werden, aber er muss sie
vorbereiten. »Rebekka, jetzt hör genau zu. Vielleicht darfst du mit
Mama oder Papa telefonieren.«
»Ich hab überhaupt keinen
Papa!«
»Na, dann eben mit der Mama.
Und nun pass auf, was ich dir sage: Egal, was bei diesem Gespräch
die Mama sagt oder fragt, du musst meinen Namen erwähnen! Du musst
den Namen Radspieler sagen. Sag ihr, wir sind zusammen.«
»Darf ich auch Markus sagen?
Ich nenn dich doch nicht Radspieler. Das ist ja richtig blöd!«
»Sag meinen Nachnamen. Markus
wird sie vielleicht nicht auf Anhieb verstehen. Okay?«
Rebekka nickt.
»Noch etwas. Dort auf dem
Tisch steht dein Simsalabim-Spray. Kannst du die Dose
funktionstüchtig machen?«
»Nein, das macht immer die
Mama.«
»Hol das Spray her.«
Radspieler erklärt ihr, wie
sie die beiden Teile gegeneinander verdrehen muss, damit der
Wirkstoff beim Pumpen frei wird. »Und jetzt steckst du es in deine
Hosentasche. Vielleicht brauchst du es heute noch. Dann hast du es
bei dir.«
»Markus?« Sie setzt sich
neben ihn.
»Hm, was ist?«
»Glaubst du, die Mama sucht
nach mir?«
»Bestimmt!«
»Aber dann ist sie ja gar
nicht zu Hause, wenn ich anrufe.«
»Sie ist zu Hause.«
»Was jetzt? Sucht sie mich
oder ist sie zu Hause?«
»Sie ist zu Hause, weil sie
auf deinen Anruf hofft. Und alle Polizisten in und um München
suchen dich.«
»Auch die, die heute gar
keinen Dienst haben?«
»Auch die.«
»Und warum finden sie uns so
lange nicht?«
Radspieler hört Schritte auf der Treppe. Die Tür
fliegt auf. Claus Zeller wedelt mit einem Handy. Rebekka
umklammert Radspielers Oberarm.
»Ihr habt Glück. Ich habe
heute meinen freundlichen Tag«, sagt er generös. Er tippt die
Nummer ein, die er von einer Visitenkarte abliest. Dann hält er
Rebekka das Telefon entgegen. »Du musst schon zu mir herkommen, du
Angsthase!« Rebekka zögert kurz, springt dann auf und will das
Handy nehmen. Zeller hält es lachend so hoch, dass sie es nicht
erreichen kann. Dann hält er es ihr vor die Nase, um
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