Mensch, Martha!: Kriminalroman
es schnell
wegzuziehen, wenn Rebekka zugreifen will. Rebekka schaut
verwirrt zu Radspieler. Der spürt eine größere Wut in sich als
drei Stunden zuvor, als ihm ins Gesicht geschlagen wurde. »Rebekka,
komm her zu mir! Der spielt mit dir! Spiel nicht mit!«
»Nein, bleib da, Kleine!«
lacht Zeller. »Ich dachte, du willst mit der Mama reden?«
Rebekka schaut von einem zum
anderen.
»Weißt du, dass ich verflucht worden bin?« sagt
Martha plötzlich.
»Nein. Wer hat dich
verflucht?«
»Corinna Färber. Als Vorwort
in ihrem Tagebuch steht: Wer das liest, dem wünsche ich großes
Unglück. Und im anderen Tagebuch heißt es: ... dem wünsche ich den
Tod.«
»Mensch, Martha! Das beziehst
du doch hoffentlich nicht auf dich!«
Sie antwortet nicht.
»Martha! Vergiss das!«
»Ja«, sagt sie matt und
Thomas weiß, dass sie es nicht tun wird.
Er geht ans Fenster, kippt es
und blickt auf die Straße. »Würde so etwas funktionieren, wäre
mein Vater längst tot«, sagt er in Richtung Fensterscheibe.
»In meiner Kindheit verging kaum ein Tag, an dem er mich nicht
verdroschen oder auf andere Weise erniedrigt hat. Auf dem Schulweg
und auf allen anderen Wegen achtete ich darauf, nicht auf
Pflasterfugen zu treten. Ich hoffte, dadurch würde sich Zauberkraft
in mir ansammeln. Damit mein Fluch endlich funktionieren würde.
Ich wünschte ihm den Tod. Jeden Tag.«
»Mensch, Thomas!« Martha
schält sich aus der Bettdecke. Sie tritt zu ihm ans Fenster und
schließt von hinten ihre Arme um ihn. Sie legt ihren Kopf an seinen
Rücken.
»Und überhaupt«, sagt er
tonlos, »hast du das Tagebuch auf Anordnung der Staatsanwalt
gelesen. Dann funktioniert dieser Fluch schon dreimal nicht. Wenn,
dann müsste es die Noll erwischen. Und die ist wahrscheinlich immun
gegen Flüche aller Art.«
In diesem Moment klingelt das
Telefon.
»Mama, Mama! Ich bin es!«
»Rebekka! Wie geht es dir!«
schreit Martha aufgeregt in den Hörer.
»Es geht schon. Mama! Markus
Radspieler ist hier. Ma-« Es klickt in der Leitung.
»Rebekka! Rebekka!« Martha
kann es nicht glauben, dass es das war. Sie hat weiche Knie und einen
Herzrhythmus, den sie bisher an sich noch nicht kennen gelernt hat.
Thomas nimmt ihr den Hörer aus der Hand.
»Thomas! Hast du das gehört!
Radspieler! Der ist dabei. Der steckt dahinter!« Das Adrenalin
schießt durch ihre Gefäße. Sie rennt durch das Zimmer wie eine
Raubkatze im Käfig, deren Instinkt große Gefahr wahrgenommen hat.
Thomas bremst ihren Lauf und
packt sie an den Schultern. Er rüttelt sie. »Martha! Martha!
Beruhige dich! Wir müssen nachdenken!«
»Schüttle mich nicht so.
Kleine Kinder können an so was sterben!«
»Ich weiß. Aber du bist kein
kleines Kind mehr!« Er lässt sie los. »Martha, ich will jetzt
keine Grundsatzdiskussionen mit dir führen. Aber vielleicht ist es
ganz anders.«
»Ganz anders? Was soll ganz
anders sein? Rebekka wurde verschleppt. Ich war immer
misstrauisch gegenüber diesem Radspieler. Und jetzt weiß ich: Er
hat seine Finger im Spiel!«
Thomas nimmt die
Zigarettenschachtel vom Tisch, holt eine Zigarette heraus,
steckt sie Martha in den Mund und gibt ihr Feuer. »Hier! Damit du
klar denken kannst!«
Martha sackt in einen Sessel.
»Martha, hör mir zu!« Thomas
zwingt sich, ruhig zu sprechen. »Wir – du und ich – und die
Staatsanwaltschaft auch, waren doch klar zu dem Schluss gekommen,
dass er kein Verbrecher ist. Lass uns jetzt einfach dabei bleiben und
von diesem Blickpunkt aus die Situation betrachten!«
»Du kommst mir schon vor wie
Becker. Der redet sich auch immer so leicht. Der zählt einfach
eins und eins zusammen und kriegt stets ein Ergebnis, das ihm passt.«
Thomas lässt resigniert die
Arme sinken. »Sollen wir nicht doch ...«
»Nein!« Martha geht in die
Küche an den Schrank und macht etwas, das sie sich den ganzen
Abend verkniffen hat. Weil sie keine Eintrübung ihres Verstandes
riskieren wollte. Sie holt eine Flasche Grappa heraus. Mit Grappa
bessert sie gelegentlich ihren Espresso auf. Sie füllt das Glas, aus
dem sie vor Stunden – wie ihr vorkommt in einem anderen Leben –
Leitungswasser getrunken hat. Sie leert das Glas und schüttelt sich.
Thomas steht in der Tür. »Da
kam kein einziges Wort von denen. Kein Wort von diesem Briefumschlag.
Was hat das zu bedeuten?«
Martha zuckt mit den Achseln.
Der Alkohol löst die Anspannung in ihr ein wenig. Die Tränen wollen
zurückkommen. Nein! Das kann ich jetzt am allerwenigsten
gebrauchen!
Sie denkt
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