Menschenfänger
noch ang’fordert. Es gibt auch einige Tonbandprotokolle. Die Bänder liegen auch mit dabei. Der Kollege, der den Fall bearbeitet hat, meinte, es sei die Zeit wert, sich die Bänder wirklich anzuhören. Klaus Windisch sei ein besonderer Tätertyp und das gesprochene Wort noch um Lichtjahre beeindruckender als der abgetippte Text.«
Nachtigall nahm die Akte und schlug sie auf.
Obenauf lag ein Informationsblatt zu den persönlichen Verhältnissen des Täters. Jemand hatte ein Foto mit einer Büroklammer darüber geschoben.
»Ein vollkommen harmloser Mann. Dem würdest du doch wahrscheinlich sogar einen Gebrauchtwagen abkaufen, und sollte der überraschend Mängel aufweisen, würdest du noch glauben, davon habe der junge Mann bestimmt nichts gewusst. Er lächelt sogar freundlich fürs Polizeifoto, als wisse er nicht, warum es gemacht wird.«
»Er ist inzwischen 32. Lebte bei Adoptiveltern, die leider beide schon verstorben sind. Im Alter von 24 Jahren beging er innerhalb von 24 Stunden zwei bestialische Morde an Prostituierten, die ihre Dienste per Zeitungsinserat anboten. Er gab sich als Freier aus, vereinbarte jeweils einen Termin, kam und quälte die beiden Frauen zu Tode«, fasste Nachtigall die Informationen zusammen.
»Hier steht noch, er sei nie verheiratet gewesen, und eine Lebenspartnerin gab es auch nicht. Das bedeutet für uns, er hat auch niemanden, der ihm so nahe steht, dass er bei ihm unterkriechen könnte.« Er blätterte weiter und stieß auf die Fotos, die an den beiden Tatorten gemacht wurden. Sie zeigten geschundene Körper, die kaum noch als menschlich zu erkennen waren. Auch diesen beiden Opfern hatte er die Haare und Brauen abrasiert. Aus weit geöffneten Augen starrten sie in die Kamera, wie Johanna Merkowski.
»Ich denke, das reicht. Wir fahren zu den Eltern. Klaus Windisch ist eindeutig tatverdächtig«, meinte Nachtigall und schlug den Ordner zu.
»Wie konnte der nur rauskommen? Allein kann er das unmöglich durchgezogen haben – er muss einen Komplizen gehabt haben! Ob Frau Knabe oder jemand anderen. Wie blöd muss man sein, um so jemandem zur Flucht zu verhelfen!«, schimpfte Albrecht Skorubski.
»Oder wie einsam«, setzte Nachtigall hinzu.
»Michael, du fährst zur SEB und siehst nach, was in diesem Schließfach von Evelyn Knabe Geheimnisvolles versteckt ist.«
Dann eilte er mit Skorubski über den Gang davon.
14
Wie immer vor solch einem Gespräch sank Nachtigalls Stimmung dem absoluten Nullpunkt entgegen. Schlimm genug, Eltern mitteilen zu müssen, ihr Kind sei Opfer einer Gewalttat geworden, diesmal würde er auch noch einräumen müssen, dass Johanna Merkowski womöglich von einem psychopathischen Verbrecher getötet wurde, der mit Hilfe des Wachpersonals aus dem Gefängnis geflohen war. Er konnte nicht verhindern, dass er sich auch mitschuldig fühlte – immerhin war es dem entflohenen Häftling quasi unter den Augen der Polizei gelungen, wieder solch einen entsetzlichen Mord zu begehen.
»Hoffentlich klärt sich bald, wie es dem Windisch gelingen konnte abzuhauen. Aus dem hypermodernen Gefängnis!«, sagte Albrecht Skorubski, als könne er Nachtigalls Gedanken lesen.
»Zumindest ist bei der Pressekonferenz klar geworden, dass solch ein Ausbruch nur mit Hilfe des Wachpersonals möglich ist. Allein oder mit der Unterstützung von Außenstehenden kommt da keiner raus.«
»Du meinst wirklich, Evelyn Knabe hat ihm dabei geholfen, nicht?«
»Ja. Und als ihr bewusst wurde, was sie angerichtet hatte, beging sie Selbstmord. Ich bin sicher, wenn wir die Tagebücher finden, werden sie genau diese Geschichte erzählen.«
»Aber als sie sich umbrachte, war Windisch doch noch gar nicht geflohen. Sie hätte noch alles rückgängig machen können! Ich glaube, der Selbstmord hat mit dem Ausbruch nichts zu tun. Depressiven reicht oft ein kleiner Anstoß und sie setzen in die Tat um, was sie seit Jahren in Gedanken beschäftigt«, beharrte Skorubski.
»Ich glaube hier nicht an Zufall. Glaub mir, sie hat mit der Flucht von Windisch zu tun. Wer weiß, was sie dazu gebracht hat, aber ich bin sicher, dass ihr Tod damit in Verbindung steht. Vielleicht hat er ihr eingeredet, er sei unschuldig – hin- und hergerissen zwischen ihrer beruflichen Verpflichtung und ihren privaten Wünschen und Träumen verstrickte sie sich immer mehr in Pflichtverletzungen. Sie hat sich umgebracht, weil sie weder die eine noch die andere Richtung einschlagen konnte: Seine Pläne zu vereiteln, wäre ihr wie
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