Menschenfänger
nicht.«
»Dieser entflohene Sträfling, ja? Auf den nicht gut aufgepasst wurde! Der tötet jetzt wieder junge Mädchen? Ja?«
»Das können wir nicht ausschließen.«
»Und Armstrong?«
»Der Hund wurde auch getötet. Es tut mir leid.«
»Nicht, dass Sie ihn ins Tierheim geben. Er zieht zu uns«, mahnte Frau Merkowski ohne jede Logik.
»Meine Tochter war nicht oft in der Stadt. Und wenn, dann wussten das nur sehr wenige Leute. Selbst ihre Freunde nahm sie nie mit in ihre Wohnung. Da war sie eigen. Sie sagte immer, diese Wohnung sei ihre ganz persönliche Insel. Der einzige Mensch außer uns, der diese Wohnung je betreten hat, war Frau Hempel.«
»Sind Sie sich da ganz sicher?«
»Absolut. Frau Hempel wäre nie so dumm gewesen, jemanden mitzunehmen – Johanna konnte völlig unerwartet auftauchen – ihre Termine haben sich manchmal kurzfristig verschoben. Wäre das rausgekommen, hätte Frau Hempel sofort ihren ausgesprochen gut bezahlten Job verloren. Das hätte sie nie riskiert.«
Es entstand eine Pause.
»Gerade diesmal wollte sie ihren Aufenthalt in jedem Fall geheim halten. Sie war der Überraschungsgast des Abends – meine Frau hat heute Geburtstag, und Johanna wollte ihr eine Freude machen und sie zu ihrer Party überraschen. Schon übermorgen wäre sie nach New York geflogen. Sie wollte die paar Tage nur ausspannen, hat sie mir gesagt.«
Von nun an, dachte Peter Nachtigall, würde dieser Geburtstag für Frau Merkowski nur noch der Tag sein, an dem ihr zwei fremde Männer die schrecklichsten Stunden ihres Lebens beschert hatten. Unbeschwerte Partys würde sie zu diesem Termin wahrscheinlich nie mehr feiern.
Peter Nachtigall sah, wie der Vater mit der Frage rang, die ihn am meisten beschäftigte und vor deren Beantwortung er die größte Angst hatte. Seine rechte Augenbraue zuckte nervös hoch und runter, als er sie endlich stellte.
»Wie?«
»Sie muss ihren Mörder reingelassen haben. Die Tür ist völlig unbeschädigt.«
»Vielleicht hat er sie gezwungen. Wie ist meine Tochter gestorben?«
»Der Täter stach ihr ins Herz«, verkürzte Nachtigall Johannas Leid auf diesen Moment.
»Ich will meine Tochter sehen!«, greinte Frau Merkowski plötzlich. »Ich will zu Johanna!«, beharrte sie starrköpfig und weinte laut.
»Sie braucht einen Arzt«, stellte ihr Mann mit einem kritischen Blick fest und griff zum Telefon.
»Ich will sofort meine Tochter sehen!«, schrie sie hysterisch und schlug nach ihrem Mann, der sie beruhigend in den Arm nehmen wollte.
»Das ist keine gute Idee, Frau Merkowski«, schaltete sich Nachtigall wieder ein. »Behalten Sie Ihre Tochter so in Erinnerung, wie sie hier auf dem Foto aussah.« Er reichte ihr das kleine Bild, das er im Flur eingesteckt hatte.
Quälend langsam sickerte die Bedeutung seiner Worte in das Bewusstsein der Eltern. Mit zitternden Fingern griff Frau Merkowski nach dem Bild und drückte es fest an sich. Dann warf sie sich schluchzend in die Arme ihres Mannes. Der umschlang sie fest und sah über ihre Schulter hinweg Peter Nachtigall seltsam verloren an.
»Sie brauchen jemanden, der sie identifiziert – oder?«
Die unterschwellig gestellte Frage hing schwer im Raum: Kann man sie denn überhaupt noch erkennen?
»Ja – das wäre gut«, antwortete Nachtigall, und die Augen des Vaters füllten sich mit Tränen.
»Johanna hatte immer Angst vor Leuten, die ihre Wohnung ausspionieren wollten. Schließlich stand sie ja immer wieder für Tage leer. Nie hätte sie freiwillig einem Fremden die Tür geöffnet!«
»Vielleicht haben Sie recht und er hat sie gezwungen. Wir werden das überprüfen«, versprach Nachtigall ohne eine genaue Vorstellung davon, wie er das tun wollte.
15
Dr. Pankratz, groß und hager mit spiegelnder Glatze und zu lang geratenen Extremitäten, erwartete Peter Nachtigall und Albrecht Skorubski bereits.
Auf zwei Edelstahltischen lagen die Opfer, die in den letzten 24 Stunden eingeliefert worden waren. Wie schon am Morgen verlor auch jetzt die Lüftungsanlage ihren Kampf gegen den Verwesungsgeruch.
»Ich habe Evelyn Knabe noch einmal bringen lassen, weil der Zahnarzt bestätigte, es handle sich wohl um seine Patientin, aber unbedingt selber noch einen Blick auf das Gebiss werfen wollte. Keine Sorge, es sind keine Maden mehr da, und wenn Sie nicht direkt herantreten, sehen Sie von hier aus auch kaum etwas von dem, was diese Tiere angerichtet haben. Die Analyse habe ich schon – sie ist an einer Überdosis Schlaftabletten –
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