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Menschenfänger

Menschenfänger

Titel: Menschenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
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der Verstorbenen bemühte sich eine Frau, ihr Kind, eine Tochter im Alter von sieben oder acht Jahren, zur Ruhe zu bringen. Immer wieder warf sie dem Vater Hilfe suchende Blicke zu, die dieser allerdings nicht zu bemerken schien. Gerd und seine neue Familie, konstatierte Nachtigall. Gerd starrte auf den Nacken seiner früheren Schwiegermutter. Vielleicht, überlegte der Hauptkommissar, fühlte er sich schuldig und hätte gerne kondoliert, traute sich aber nicht. Frau Beyers Anblick war auch nicht gerade ermutigend. Ich würde es lassen, riet er dem Exmann in Gedanken.
    Trotz der Ermahnungen der Mutter begann die Kleine erneut zu quengeln. Sie zupfte am Blumenbouquet und Nachtigall hörte sie sagen: »Ich will hier nicht bleiben. Ich gehe jetzt nach Hause.«
     
    Natürlich waren einige ihrer Kollegen erschienen, sie saßen dicht gedrängt in der Nähe des Ausgangs und erweckten den Eindruck, zwangsverpflichtet worden zu sein. Die beiden Damen sahen beleidigt auf den Boden, während der ältere Herr eher nachdenklich und bedrückt wirkte. Nachtigall erinnerte sich an Wieners Bericht vom Gespräch mit Evelyns Kollegen. Einer von ihnen, hatte er erzählt, sei sich durchaus der Tatsache bewusst gewesen, dass sie ihre Kollegin nicht ausreichend unterstützt hatten. Vielleicht war er jetzt deshalb so bekümmert. Frau Martens und ihr Sohn Steffen vertraten die Hausgemeinschaft. In den letzten Reihen saßen Nachtigall, Skorubski und Wiener. Albrecht Skorubski kam sich ein wenig albern vor, als einziger normal Großer zwischen dem Riesen Nachtigall und dem immerhin auch über 1,80 Meter großen Michael Wiener. Überhaupt konnte er Beerdigungen nicht ausstehen, und Windisch zeigte sich auch nicht.
    »Er ist nicht da!«, zischte er Nachtigall ins Ohr.
    »Kommt vielleicht noch«, flüsterte der Freund zurück.
    »Ziemlich unwahrscheinlich. Er würde ja sofort auffallen.«
    »Er wartet eventuell draußen. Hält Abstand. Er wird sich denken können, dass die Polizei hier wartet.«
    Die große Tür wurde geöffnet und ließ einen Sonnenbalken in die Kapelle scheinen.
    Im Licht stand ein mittelgroßer Herr im schwarzen Anzug.
    Mit festen Schritten durchquerte er das Schiff, verbeugte sich vor Frau Beyer und reichte ihr die Hand zum Beileidsgruß. Sie nickte und zog ihre wieder zurück.
    »Der passt! Mann, der traut sich in die Höhle des Löwen!« Skorubski war sprungbereit.
    »Das ist der Trauerredner.«
    Albrecht Skorubski entspannte sich wieder. »Schade. Von der Größe her hätte er es sein können.«
    Während der Redner ans Pult trat und versuchte, über fröhliche und farbige Facetten aus Evelyns Leben den Eindruck zu erwecken, es habe sich bei ihr um eine lebenslustige Person gehandelt, die in ihrem Freundeskreis aufging, schweiften Nachtigalls Gedanken ab. Hatte Windisch vorhergesehen, dass sie sich umbringen würde, wenn sie zufällig die Wahrheit erfuhr? Bedeutete sie ihm etwas oder war sie nur der ›Schlüssel für seine Zelle‹? Draußen wartete ein Fotograf, der jeden der Gäste und Zaungäste aufnehmen würde, doch wenn Windisch von dem Selbstmord gar nichts wusste, konnte er auch zur Beerdigung nicht kommen.
    Es hatte eine Zeit gegeben, da war Tante Erna einmal im Monat zu einer Beerdigung gegangen. Tja, die anderen waren nicht so stark wie ich, sagte sie dann jedes Mal, nahm den schwarzen Mantel aus dem Schrank und ging. Nach und nach waren all ihre Freunde und Bekannten gestorben, nur eine Freundin lebte noch, weit entfernt in einem kleinen Ort in Bayern. Wenn sie nun wirklich sterben musste, würde sich auch keine große Trauergemeinde mehr einfinden. Er verscheuchte den Gedanken und konzentrierte sich wieder auf die Worte des Redners.
    »Können wir jetzt endlich gehen?«, fragte Gerds Tochter unüberhörbar, und ihre Mutter legte ihr den Finger über die Lippen. Nachtigall spürte, wie er begann, sich zu ärgern. Sicher, Evelyn Knabe hatte Windisch zur Flucht verholfen. Aber sie hatte es dennoch nicht verdient, dass sogar ihre Beisetzung noch zur Farce verkam.
    Endlich traten dunkle Gestalten an den Sarg heran, und während die kleine Gruppe die Kapelle verließ, trug man Evelyns Sarg zur Seitentür hinaus. Nachtigall entdeckte den Polizeifotografen, der unauffällig hinter einem Busch wartete und unbemerkt seine Fotos schoss.
    Klaus Windisch, Evelyns große Liebe, war nicht gekommen.
     
    Peter Nachtigall hatte gerade das Büro betreten, da klingelte auch schon das Telefon auf seinem Schreibtisch. Müde,

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