Menschenteufel
dass sein Gefühl ihn täuschen
konnte. Mal abwarten, was die Analyse des Sezierbestecks ergab.
Zehn Minuten später war er wieder in seinem Garten. Hier unten im
Tal herrschte noch Schatten, doch die Nacht hatte die Schwüle nicht aus der
Senke vertrieben. Die scharfe Kante des Lichts kroch unerbittlich den Hang
hinab auf ihn zu. Ein weiterer Tag im Brutkasten der Innenstadt erwartete ihn.
Hoffentlich stimmte das mit den Gewittern für morgen. In der Hütte schienen
noch alle zu schlafen. Die Müdigkeit steckte Freund in allen Gliedern. Er zog
sich aus und stellte sich unter die Gartendusche. Das kalte Wasser weckte ihn
noch einmal auf.
Als er ins Wohnzimmer schlich, blinzelte Claudia ihn aus
verschlafenen Augen an. Flüsternd wünschte er ihr einen guten Morgen. Während
sie im Bad verschwand, bereitete er in der Küchenzeile das Frühstück zu. Er
kochte Kaffee, Tee und Kakao, weichte Müsli in Milch ein, deckte den Tisch
draußen auf der Wiese, schnitt Brot, Apfel, Banane, Birne auf. Die
Lebensmittel, ebenso wie Marmeladen und Honig, würde er erst im letzten Moment
hinausbringen, damit die Wespen sie nicht zu früh witterten. Die lästigen Viecher
waren in diesem Jahr besonders früh und in außergewöhnlichen Mengen aktiv. Zum
Glück war man am Morgen noch relativ sicher vor ihnen.
Sein Vater lag bereits wach im Bett. Trotz gekippten Fensters roch
es muffig, aber immerhin nicht nach menschlichen Ausscheidungen irgendwelcher
Art.
»Guten Morgen, aufstehen.«
Gehorsam erhob sich Oswald Freund und folgte seinem Sohn zur
Toilette. Mal sehen, ob er es allein schaffte. Nach zwei Minuten hatte der Alte
sein Geschäft erledigt und ließ sich von seinem Sohn an den wichtigsten
Körperstellen mit einem Waschlappen reinigen. In der Küchenzeile hörte Freund
seine Frau und die Kinder mit den Tellern und Marmeladegläsern klappern. Er
kleidete seinen Vater mit einer leichten Sommerhose und einem kurzärmeligen
Hemd an. Die Füße steckte er in Holzschlapfen. Um das Schneiden der Zehennägel
kümmerte sich die Pflegerin.
»Gehen wir frühstücken.«
Claudia und die Kinder saßen bereits am Tisch.
»Musst du heute arbeiten, Papa?« In Bernds Mund verschwand ein
halbes Honigbrot.
»Leider.«
»Dann gehen wir ohne dich ins Schwimmbad«, erklärte Clara
erbarmungslos und schob einen Löffel Müsli zwischen die zu großen
Schneidezähne.
Und wer behielt seinen Vater im Auge? Freund warf seiner Frau einen
entsetzten Blick zu.
Claudia zuckte mit den Schultern. »Ich habe es ihnen erlaubt.«
Niemals Diskussionen oder gar Streit vor den Kindern, das hatten sie
sich geschworen. Den Kindern gegebene Versprechen immer einhalten war
gleichfalls ein Vorsatz gewesen. Keinesfalls die Kinder für die eigenen Interessen
gegen den anderen einsetzen. Aber auch: Elternentscheidungen werden gemeinsam
getroffen. Über diese Vereinbarung hatte Claudia sich gerade hinweggesetzt. Das
gehörte wohl zu ihrem Ultimatum.
»Und wer schaut dann auf Opa?«, fragte er Bernd, der das Problem
schon eher verstand und der Verantwortungsbewusstere war.
»Mama hat gesagt, dass du dich heute um ihn kümmerst.«
Noch ein Blick zu Claudia, die ihm nicht auswich.
Und wie stellst du dir das vor? Ich muss den ganzen Tag arbeiten.
Ein Team von über zwanzig Männern und Frauen leiten. Mich mit Staatsanwalt,
Untersuchungsrichterin, dem Chef der Kriminalpolizei, Landespolizeikommandanten
und dem Polizeipräsidenten herumschlagen. Einen irren Mörder finden.
Und ich habe Besprechungen mit Klienten. Wichtige Termine bei
Gericht. Nervtötende Verhandlungen mit Gegenanwälten. Streitigkeiten mit
Partnern. Diskussionen mit Angestellten und Konzipienten. Gestern Abend habe
ich alles dazu gesagt.
Diese Diskussion brauchte keine Worte.
Laut schlürfte sein Vater Kaffee. Er stellte die Tasse ab, ein
Tropfen hing an seiner Unterlippe. Schnell wischte Freund ihn mit der
bereitliegenden Serviette ab, um einen Hemd- oder Hosenwechsel zu vermeiden. Er
konnte die Sonderkommission nicht von einem Weingarten aus leiten.
Die Kinder räumten den Tisch ab. Claudia verschwand in der Hütte und
steckte sich in ihr Businesskostüm. Freund blieb keine Wahl. Im Zimmer seines
Vaters packte er ein Hemd, eine Hose, eine Garnitur Unterwäsche, einen dünnen
Sommerblouson, den Discman und ein paar Opern- CD s
in eine Sporttasche.
Als er wieder in den Garten trat, verabschiedeten sich die Kinder
gerade von ihrer Mutter und schwangen sich auf ihre Fahrräder. Winkend riefen
sie ihm
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