Menschenteufel
bestand aus, kurz gefasst: nichts. Der
kleine Plastikfetzen am Ziegenbockbein war nicht zuzuordnen. Er wies auch keine
anderen Spuren wie Fingerabdrücke oder DNS auf.
Ebenso wenig war an der menschlichen Leiche gefunden worden. Winzige Baumwollfussel
würden vielleicht später als Beweis dienen können. Einen Hinweis brachten sie
vorerst nicht. Der Täter hatte sich vorgesehen.
Auf der dritten Mappe las Freund: »Märchenstunde«. Sie barg eine
Sammlung aller Wiener Teufelsmärchen. Obenauf lag eine Zusammenfassung, die
jede der Geschichte in maximal drei Sätzen erzählte. Die meisten vermittelten
die klassische Sagenmoral. Sei eitel, geizig, neugierig, überheblich, kurz:
sündige, und der Teufel wird dich holen. War es das, was ihnen der Mörder sagen
wollte? Welche Sünde hatte Wuster in diesem Fall begangen?
Ob solche Geschichten die Menschen vor ein paar hundert Jahren
wirklich diszipliniert hatten? Wahrscheinlich. In vielen Gesellschaften
funktionierte die Angst vor dem Leibhaftigen bis heute besser als jedes
weltliche Gesetz. Freund glaubte nicht an den Teufel. Für ihn war die Figur
eine Schöpfung der Menschen, um sich selbst in Schach zu halten. Für Ungläubige
wie ihn hatte man nach dem Teufel das moderne Strafrecht erfinden müssen.
Interessant fand er jene Erzählungen, in denen jemand den Teufel
auszutricksen versuchte. Tatsächlich gelang es einigen sogar. Eigentlich
ziemlich unmoralisch, dachte Freund.
Sein Vater kaute noch immer auf den Broten herum.
»Ich komme gleich wieder. Iss ruhig weiter.«
In Pascal Canellas Büro sah es aus wie bei Freund, nur etwas
ordentlicher. Auf dem Schrank hinter ihm thronte eine große Palme. Ihre Blätter
senkten sich über Canellas Kopf, als könnten sie ihm hier drin Schatten
spenden. Aus dem Topf ragte an einem langen Stil ein Kinderwindrad aus rot
glänzendem Metallpapier. Neben seinem Schreibtisch mühte sich ein mobiles
Klimagerät um etwas Kühle. Spüren konnte Freund sie allerdings erst, als er
direkt davorstand.
Canella ließ zwei Eistee bringen.
»Bösen Fall hast du da«, sagte er und schlürfte die kalte
Flüssigkeit durch einen Strohhalm. »Habt ihr schon was?«
Freund schilderte ihm die wenigen Fakten.
»Dem habe ich leider nicht viel hinzuzufügen«, erklärte Canella.
»Bei dieser Rother haben wir weiter nichts gefunden. Sie hatte einen Safe,
einen beachtlich großen übrigens, sieht man selten bei Privaten. Wir konnten
ihn dank des Backupcodes des Herstellers öffnen. Viel war nicht drin. Die
Unterlagen sind mit anderen bereits bei euch. Da ist nur eine Sache, die ich
dir sagen wollte, weil ich sie nicht ins Protokoll geschrieben habe.«
»Weshalb nicht?«
»Meine Aufgabe ist, Spuren zu sichern. Manchmal sind diese
allerdings so schlecht, unscharf, vage, wie immer du es bezeichnen möchtest,
dass man sie de facto nicht verwenden kann, keinesfalls vor Gericht, wenn es
hart auf hart kommt. Aber du kennst mich. Trotzdem denk ich mir meinen Teil
dazu. Das ist zwar wenig wissenschaftlich, aber wir wissen beide, dass man sich
in unserem Geschäft oft genug auf sein Gefühl verlassen muss.«
»Und was sagt dein Gefühl?«
Canella legte ein paar Abzüge verschiedener Oberflächen mit
Fingerabdrücken zwischen ihnen auf den Tisch. Wirre Muster der Prints
gruppierten sich um eine Schubladenkante, ein Regalfach und eine Tresortür.
»Siehst du was?«, fragte er Freund.
Der Inspektor prüfte die drei Bilder genau. Schließlich musste er
passen.
»Ist dir nicht vorzuwerfen«, erklärte Canella. »Man braucht ein sehr
geübtes Auge und viel Erfahrung als Kriminaltechniker. Alle diese
Fingerabdrücke stammen von Hermine Rother und Norbert Lindl, am Tresor nur von
Rother.«
»An den durfte Lindl nicht dran?«
»Anscheinend. Darum geht es aber nicht. Auffällig ist, dass die
Qualität der meisten Abdrücke im Rahmen ist. An ein paar neuralgischen Punkten
– am stärksten fällt es beim Tresor auf, schau, hier, hier – sind sie
allerdings etwas schlechter: verschmiert, abgeschwächt. Als ob jemand dort
später hingegriffen hätte, der Handschuhe trug und dabei die Abdrücke ganz
leicht verwischte.«
Canella platzierte ein weiteres Dokument zwischen ihnen.
»Das ist eine Skizze von Hermine Rothers Haus. Mir scheint, die
Handschuhe waren an ganz bestimmten Stellen. Dort, wo auch ich alles angreifen
würde, müsste ich das Gebäude nach etwas durchsuchen, von dem ich annehme, dass
es versteckt ist.«
»Du meinst, jemand hat das Haus vor uns
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