Menschenteufel
Voraussetzungen für weitere Karriereschritte und
Nebenverdienstmöglichkeiten wie Vorträge oder Bücher. Es galt, sich zu positionieren.
Freund hasste diese Denkart. Intrigen und taktische Winkelzüge waren
ihm zuwider. Er wollte Fälle lösen. Er wollte Ermittlungen führen. Er wollte
Täter finden. Er krabbelte nicht wegen jeder Furzerkenntnis in Furlers,
Roschitz’ und Pepes Büro. Er ging weder mit ihnen saufen, noch lachte er über
ihre Männerwitze. Er betonte nicht bei jedem Zusammentreffen ihre überragenden
Fähigkeiten. Er grüßte sie höflich, hielt sie auf dem Laufenden, wo nötig, und
gratulierte ihnen zum Geburtstag, wenn er daran dachte.
Außerdem hatte der Fall ab sofort einen ganz persönlichen Aspekt
bekommen. Alfred Wusters Tod war ungewöhnlich und grauenhaft gewesen – mangels
Vorwissen aber nicht zu verhindern. Hermine Rothers Verschwinden war ihnen
bekannt gewesen. Der Täter oder die Täterin hatten ihre Haare verwendet. Den
Ermittlern waren die Spuren vor die Nase geworfen worden. Mit dem Mord an der
Frau forderte der Täter Freund und sein Team persönlich heraus. Kriegt mich
doch!
Über dem Naschmarkt und der Innenstadt schimmerte der Himmel bereits
blau. Aus den Regenzonen der Stadt trug der Wind feuchte Luft über den
Parkplatz. Die Feuerwehrleiter mit den Spurensicherern und der Bahre setzte
hart auf den Asphalt. Wanek und Obratschnik erwarteten sie.
»Das ist nicht gut.«
Freund hatte den Pepe nicht bemerkt. Mit ihm kamen Roschitz, Furler,
Wagner und Varic. Nur Spazier konnte Freund nirgendwo entdecken. Er unterbrach
das Tippen auf den Telefontasten.
»Nein. Ist es nicht.«
»Sie hatten ja schon beim ersten Opfer die Ahnung, dass es der Anfang
von mehr sein könnte«, erinnerte Wagner den Pepe.
Ersticken sollst du in deinem Schleim.
Der Tross folgte dem Polizeipräsidenten zur Bahre. Unwillig schloss
Freund sich an. Er gab dem Pepe eine Kurzfassung.
»Wir wussten also, dass sie in Gefahr war? Das ist noch schlechter.«
»Das war nicht so eindeutig«, widersprach Freund. »Hermine Rother
hätte auch die Täterin sein können. Auf jeden Fall ist ihr Sekretär Lindl, der
noch immer in Untersuchungshaft sitzt, vorläufig nicht mehr ganz so verdächtig.
Wenn wir von einem Einzeltäter ausgehen.«
Sie bildeten einen Kreis um die Trage mit dem Kadaver und
verstummten. Eine ganze Weile redete niemand. Hinter ihnen rückte lärmend die
Feuerwehr ab. Hektische Beamte versuchten, die zahlreicher werdenden
Journalisten zurückzuhalten.
»Was soll das eigentlich darstellen?«, fragte Roschitz schließlich.
»Das erste Opfer war ein Teufel«, erinnerte ihn Furler. »Vielleicht
soll das ein Engel sein.«
»Warum würde man einen Engel umbringen?«, erwiderte der Pepe
unwirsch. »Außerdem gehen Engel nicht auf Krallen.«
Freund brachte seinen früheren Gedanken ein: »Es gibt in der
klassischen Mythologie ein Mischwesen aus Mensch und Vogel …«
»Harpyien …«, warf Wagner ein. Besserwisser. Aber zugegeben, Freund
war der Begriff nicht eingefallen. »… böse Dämonen der griechischen
Mythologie, keine Engel.«
»Wir müssen mehr über die Figur wissen«, forderte Freund. »Wenn es
wirklich eine Harpyie darstellen soll, dann sollte Wuster vielleicht auch
keinen Teufel, sondern doch einen Satyr, Faun oder Pan verkörpern.«
Einer von Obratschniks Mitarbeitern flüsterte seinem Gruppenleiter
etwas ins Ohr und reichte ihm Unterlagen. Obratschnik wisperte zurück und
verabschiedete den anderen mit einem Schulterklopfen.
Triumphierend präsentierte der Chefinspektor die Papiere der Runde.
»Was immer diese Schweinerei darstellen soll, auf jeden Fall hat meine
Mannschaft schon herausgefunden, was für ein Vogel es ist und woher er kommt.
Ich habe umgehend jemanden hingeschickt, die Spurensicherung macht sich auch
mit allen verfügbaren Kräften auf den Weg.«
Erwartungsvoll blickte er den Pepe an.
Statt eines Lobes fragte dieser nur: »Und? Welches Vieh? Woher?«
Obratschnik räusperte sich und antwortete konsterniert: »Es ist ein
Emu aus Schönbrunn.«
»Der Vogel wurde mitten aus dem Zoo gestohlen? Passt denn da niemand
auf? Gibt es keine Alarmanlagen?«
»Er kommt nicht direkt aus dem Tiergarten. Am oberen Eingang des
Schlossparks liegt ein separates Emugehege …«
»Kenne ich. Meine Enkel bleiben da immer stehen.«
»Aus diesem stammt er. Die Tiere sind Menschen gegenüber relativ
zutraulich. Von der Außenwelt getrennt sind sie durch einen simplen
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