Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Und was noch?«
»Ich habe ihn gefragt, ob ich ihm einen Wunsch erfüllen darf, und er hat sich das alte Stoffkrokodil aus unserer Spielecke gewünscht; das habe ich ihm gebracht und ihm gesagt, dass einige unserer Stofftiere verwunschen seien und darauf warteten, dass sie jemand erlöse.«
»Schöne Geschichte, Nora, wir sollten Sie doch häufiger bei der Therapie einsetzen.« Lea schaute zu dem Jungen hinüber, der immer noch versonnen das Plüschtier streichelte.
Gegen Ende der anstrengenden Sprechstunde hielt Frau Witt Lea einen Zettel mit einer Telefonnummer hin. »Kommissar Bender hat gerade angerufen. Er sagte, wenn Sie Zeit hätten, sollten Sie zurückrufen.« Frau Witt hielt inne und musterte Lea. »Ist Ihnen nicht gut?«
»Doch, doch, danke. Alles bestens.«
»Na ja.« Dem geschulten Blick von Frau Witt entging so leicht nichts.
»Ich rufe gleich im Polizeipräsidium an. Wer ist der nächste Patient?«
»Frau Konradi und danach Herr Luterbach, und dann ist Schluss für heute.«
»Na gut, auf geht’s.« Lea erhob sich müde von ihrem Stuhl, während Frau Witt flink wie ein Wiesel hinter die Anmeldung zurücksprang.
Gegen 14 Uhr 20 hatte Lea mit ihrem letzten Patienten, Herrn Luterbach, die neuen Untersuchungsergebnisse besprochen und ihm einen überarbeiteten Plan für die Einnahme von Schmerzmitteln vorgeschlagen, da die Behandlung seiner außerordentlich quälenden Trigeminusneuralgie im Resultat noch nicht befriedigend war. Dann wählte sie die Nummer des Polizeipräsidiums. Benders Stimme klang heiser. Nach der Begrüßung drang ein Hustenanfall aus dem Hörer.
»Das hört sich nicht gesund an«, stellte Lea fest.
»Ich fühle mich auch eher nicht ganz so gesund«, erwiderte Kommissar Bender, »leider hat die Medizin noch nichts Bahnbrechendes gegen Erkältungen erfunden, oder? Also lutsche ich Salbeibonbons.«
»Die schaden zumindest nicht.«
»Ich denke, es wäre am besten, wenn Sie im Polizeipräsidium vorbeikommen«, sagte Bender knapp.
»Das hatte ich ohnehin vor«, antwortete Lea. »Für heute bin ich in der Praxis fertig, ich könnte in einer halben Stunde bei Ihnen sein. Soll ich wieder in den Besprechungsraum kommen?«
»Nein, bitte kommen Sie in Raum 412, das vierte Obergeschoss.« Ein neuer Hustenanfall dröhnte durch das Telefon, so dass Lea den Hörer zur Seite hielt. »Entschuldigung«, sagte Kommissar Bender, »wenn der Fall abgeschlossen ist, werde ich eine Woche Urlaub nehmen und mich auskurieren. – Noch etwas Offizielles. Wie Sie wissen, sind die Ermittlungsergebnisse ausschließlich den zuständigen Mitarbeitern von Polizei und Staatsanwaltschaft zugänglich. Allerdings sind Sie in den Fall als Zeugin und Betroffene so intensiv eingebunden, dass auch der zuständige Staatsanwalt, Herr Falkenauer, der Meinung ist, dass wir Ihre Mitarbeit als Sachverständige weiter benötigen. Das ist zumindest das offizielle Etikett.«
»Ich kann mir vorstellen, dass es etwas ungewöhnlich ist«, sagte Lea, »und ich bin Ihnen sehr dankbar, dass ich dabeibleiben darf.« Sie hatte plötzlich den Drang, dem Kommissar etwas zu erklären. »Ich muss auch zugeben, dass mich dieser Fall über alle Vernunft hinaus beschäftigt. Ich habe ein großes Bedürfnis zu wissen, was eigentlich geschehen ist. Denn die Angelegenheit hat mein Leben ganz schön durcheinandergebracht.«
»Das kann ich verstehen«, entgegnete Franz Bender. Und Lea wusste, dass es wirklich so war.
Die Pflastersteine der Augustinerstraße glänzten vor Nässe. Die Menschen sahen unter ihren Schirmen auf den Weg, um die Schu- he zu schonen. Nur zwei kleine Kinder mit roten und gelben Gummistiefeln begrüßten begeistert jede größere Pfütze. Einer der beiden, ein kleiner blonder Junge in einem dunkelblauen Regenmantel mit irgendeiner grellbunten Comicfigur darauf, hatte ein besonders großes Exemplar entdeckt und sogleich erobert. Fasziniert schaute er auf den kleinen See, in dem er stehen konnte, ohne dass auch nur ein Tropfen Wasser die Füße benetzte. Solche Kinder würde sie später aller Wahrscheinlichkeit nicht in ihrer Praxis sehen. Weder mit Anorexie noch mit Panikstörungen noch mit Drogenproblemen. Der Gedanke machte sie irgendwie glücklich.
Fünf Minuten später fand sie in der Goethestraße einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Polizeipräsidiums. Die Tür des Büros mit der Nummer 412 war nur angelehnt, und Lea klopfte, um sich bemerkbar zu machen.
»Herein!« Drinnen saß Kommissar Bender mit
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