Mercy, Band 4: Befreit
hoch und durchbohrt Ryans Schulter. Er schreit auf vor Schmerz, das Monster zieht ihn an sich und kreischt ihm in kalter Wut ins Gesicht. Dann reißt es seine Klaue heraus, wirft Ryan über die Schulter und springt davon.
Im ersten Moment bin ich gelähmt vor Entsetzen.
Die andere Kreatur wendet mir herausfordernd ihr augenloses Gesicht zu, wirbelt herum und springt der ersten nach.
Mit ihren langen, unförmigen Gliedmaßen fegen sie Möbel, Maschinen und Absperrungen aus dem Weg. Ich stürze hinterher, schleudere umgefallene Plastikstühle, Plastiktabletts, Abfalleimer und Metallschilder beiseite, ohne Ryan auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Er hängt wie eine Stoffpuppe über der Schulter des Dämons und schlägt wild um sich.
Irgendwo über unseren Köpfen schrillt eine Sirene los, aber ich laufe weiter. An Wartungsarbeitern vorbei, und an Uniformierten, die wie aus dem Nichts auftauchen, ihre Waffen ziehen und auf Japanisch schreien: „Halt, stehen bleiben, oder wir schießen!“ Aber wir lassen sie alle hinter uns und stürmen in übermenschlichem Tempo auf die verlassene Passagier-Lounge am anderen Ende des Gebäudes zu. Die versperrte Doppeltür in der Nähe des Check-in-Automaten kann die Dämonen nicht aufhalten. Sie reißen sie einfach aus den Angeln und springen ins Leere. Ich höre Ryan schreien, als die Dämonen lautlos durch die Luft segeln.
Ich werfe einen Blick nach unten. Da ist nichts – keine Rampe, null. Nur der blanke Asphalt tief unten.
Die beiden Dämonen landen am Boden und starren zu mir hoch. Der, der Ryan festhält, packt ihn an der Lederjacke, hält ihn in die Luft und schüttelt ihn, als wollte er sagen: Hol ihn dir, wenn du ihn willst!
Hinter mir werden Schüsse abgefeuert. Ich spüre, wie eine Kugel mich durchschlägt, aber ohne jede Wirkung. Ich drehe mich nicht um, sondern springe kurz entschlossen hinaus und lande direkt vor den Dämonen aus Dunst und Gift. Ryan schlottert vor Schmerz und Horror und seine Lippen sind ganz blau.
„Kümmere dich nicht um mich“, zischt er mir zu. „Hau ab, los! Ich bin nur ein Köder, die benutzen mich als Köder.“
„Ich weiß“, sage ich. „Sie sind nicht so dumm, wie sie aussehen, die beiden hier. Sie wissen, dass du meine Schwachstelle bist und immer bleiben wirst.“
Als hätte er alles verstanden, beugt sich der eine Dämon herunter und kreischt mir höhnisch ins Gesicht. Der andere legt Ryan seinen zweiten Klauenarm um die heile Schulter und lässt ihn dort ruhen. Ryan stößt einen gequälten Schrei aus und windet sich vor Angst und Schmerz in den rasiermesserscharfen Klauen.
„Lass ihn los!“, fauche ich. „Ich mache, was du willst, gehe, wohin du willst. Du hast mein Wort. Wenn du ihn loslässt.“
Ich trete vor, und der Dämon schleudert Ryan von sich, als wöge er nichts, nein, als sei er nichts, und Ryan schreit auf und bleibt reglos auf dem Asphalt liegen.
Die Dämonen nähern sich drohend, hüllen mich in Dunst und greifen nach mir. Eine Eiseskälte durchströmt mich, lähmt meine Muskeln wie ein Betäubungsmittel. Die Monster ragen über mir auf, ziehen mich näher zu sich heran, und ich kann das erste Morgenrot am Horizont durch ihre flirrenden Leiber sehen. Die Sterne am Himmel erlöschen einer nach dem anderen, und ich selbst zerberste in tausend Stücke. Die Dämonen werden mich mit in die Hölle hinunterziehen. Ich habe einen Pakt mit ihnen geschlossen, den ich keine Sekunde bereue: mein Leben gegen das von Ryan. Es gibt keinen Ausweg.
Aber plötzlich blitzt etwas auf, kaum wahrnehmbar, fügt sich zusammen, verdichtet sich. Ein Leuchten, strahlender als die Sonne. Ich neige den Kopf und werfe mich mit letzter Kraft zur Seite. Da nimmt Uriel hinter den Dämonen Gestalt an, entfaltet seine riesigen Schwingen und lässt ein breites Flammenschwert in seiner Hand aufschießen.
Er schwingt es in hohem Bogen und die Klinge trifft zischend auf die Dämonenenergie. Uriel streckt die beiden Monster nieder und sie verschwinden schreiend. Der Wind trägt die letzten Fetzen ihrer toten Energie davon.
„Du ziehst Ärger an wie ein Magnet!“, brüllt Uriel mich an.
Dann reißt er den Kopf hoch. Ich drehe mich zögernd um und sehe über uns ein paar Männer in voller Kampfausrüstung in der kaputten Tür stehen, die Waffen im Anschlag. Dann erschallt das idiotische Kommando: „Feuer frei!“
Aber bevor sie ihre Gewehrsalve abfeuern können, packt Uriel erst Ryan an der Jacke, dann mich und schwingt
Weitere Kostenlose Bücher