Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
Vom Netzwerk:
plötzlich nach, wie es begonnen hat. Ryan wankt auf der Stelle und stürzt fast vornüber. Eine Frau in einem bunt gestreiften Schal schubst ihn kichernd zurück, damit er nicht umfällt.
    „Erdbeben“, sagt Uriel und wirft mir einen besorgten Blick zu.
    Ich zucke mit den Schultern, so erleichtert bin ich, dass es nur ein Erdbeben war.
    Unser Gastgeber sagt leise: „Seit drei Tagen regnet es. In der Nähe von Llaqtapata soll es Erdrutsche gegeben haben, die Treck-Führer sprechen von dichtem Nebel und Beben auf dem Berg, von vielen Verletzten und abgesagten Touren. Wenn Sie wirklich eine Tour machen wollen, wie der Gringo sagt, brauchen Sie Genehmigungen. Wir können sie Ihnen beschaffen, ohne Pässe, ohne Wartezeit, wenn Sie das wollen.“
    Der ganze Raum hält praktisch den Atem an, wartet auf Uriels Antwort.
    Ryan bricht schließlich das Schweigen. „Trickst mich bloß nicht wieder mit eurer Augennummer aus“, sagt er genervt und schaut von Uriel zu mir. „Mein Vorschlag lautet: Ihr geht zu Fuß da rauf und zieht eure Flammenschwerter nur im Notfall. Aber okay, ich bin ja nur ein halb toter Gringo. Wen interessiert schon meine Meinung?“, fügt er bitter hinzu.
    Unser Gastgeber schubst einen anderen Mann vor. Er ist jünger, schnurrbärtig, durchtrainiert und trägt Kakihosen und Flipflops. „Ich bin Mateo“, stellt er sich vor und mustert uns aufmerksam. „Mein Onkel hat mir gesagt, dass Sie einen Bergführer und Genehmigungen brauchen?“
    „Bitte sag Ja“, dränge ich Uriel leise. „Ryans Vorschlag ist gut. Du kannst ihm vertrauen. Er hat mich am Leben gehalten, wie Michael es ihm befohlen hat – in mehr als einer Hinsicht. Keiner von euch hatte je Rückendeckung von einem Sterblichen wie Ryan und ihr hättet auch nie einen Rat von ihm angenommen. Aber glaub mir, ich wäre ohne Ryan verloren gewesen, als ich in dieses Chaos geschleudert wurde. Er war mein Halt in dieser Welt und kennt sich in Dingen aus, von denen du keine Ahnung hast. Du tust gut daran, auf ihn zu hören, Uri. Wenn wir erst dort oben sind, sehen wir weiter.“
    Uriel mustert Ryan einen Augenblick schweigend, dann nickt er knapp. Einen Tag , sagt er grimmig in meinem Kopf. Mehr nicht. Das ist mein letztes Wort.
    Dann lächelt er die Menschen an, die sich um uns scharen, und es ist, als ginge die Sonne auf. Die Frauen, ob jung oder alt, klatschen in die Hände und seufzen glückselig.
    „Bitte setzen Sie sich“, sagt unser Gastgeber, und sofort wird uns der Weg zu dem runden Tisch in der Ecke des Raums frei gemacht, der jetzt mit Essen vollgestellt ist, das die Leute von zu Hause mitgebracht haben.
    Ryan stützt sich beim Gehen auf mich wie ein Greis. „Hörst du dieses Geräusch?“, wispert er mir zu, als ich ihn zu einem der Stühle führe.
    Ein Mann mit dunklem Hemd und schwarzer Brille drückt Ryan ein Glas mit einer warmen milchig grünen Flüssigkeit, in der Teeblätter herumschwimmen, in die Hand und schließt seine Finger darum. Ryan, dem immer noch der Schweiß auf der Stirn steht, nippt an der Flüssigkeit und verzieht das Gesicht.
    „Was für ein Geräusch?“, frage ich neugierig.
    Die Luft vibriert vor Geräuschen, die von den Leuten kommen, aber auch aus dem Raum selbst. Irgendwo tickt eine Uhr, im Radio ertönen Stimmen, aus dem Raum hinter uns dringt Frauenlachen. Dann werden Möbel an die Wand gerückt und ein älterer Mann stimmt eine Gitarre.
    Ryan trinkt das Glas leer, schließt die Augen und murmelt schläfrig: „Die Uhr tickt, Mercy. Wir haben noch mal einen Aufschub bekommen, du und ich.“
    Er lächelt, schwankt auf seinem Stuhl und kippt leicht gegen mich, aber er hält die Augen geschlossen. Und plötzlich durchströmt mich die Freude, dass ich da bin, immer noch bei ihm bin, und ich nehme seine Hand in meine und ziehe seinen Arm zu mir herüber. Ich lehne mich an ihn, spüre den Herzschlag in seiner Brust wie das Flattern von Vogelflügeln, während Mateo uns erklärt, wie er uns ohne Papiere die Genehmigung für eine eintägige Trekkingtour beschaffen kann und was uns vermutlich am nächsten Morgen erwartet.
    Als unsere Besprechung mit Mateo zu Ende ist, umringen uns die Kinder und drängen uns, die Kürbissuppe und lomo saltado zu probieren, den buding de chocolate und eine Süßspeise aus gekochtem lila Mais namens mozamora morada , über die sie begeistert herfallen. Und wir probieren auch. Doch so köstlich alles duftet, für Uriel und mich schmeckt es nach Asche. Nach einer Weile schieben

Weitere Kostenlose Bücher