Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
Vom Netzwerk:
ehrgeizig.“
    Die vier richten ihre Aufmerksamkeit wieder auf Ryan, der neben mir am Boden kniet.
    „Dann ist es höchste Zeit, ihn von hier fortzubringen, Mercy“, sagt Uriel. „Wir halten dir Luc vom Leib, und du bringst ihn nach Hause. Und kehrst dann selbst nach Hause zurück. Es gibt keine andere Möglichkeit. Es tut mir leid.“
    Meine Augen füllen sich wieder mit Tränen und ich schäme mich für meine Schwäche.
    „Warum?“, entgegnet Ryan heftig, was Barachiel mit einem Stirnrunzeln quittiert. „Warum muss sie ihr Glück immer für andere opfern? Sie hat schon genug getan, finde ich. Könnt ihr diesen Horrortyp nicht irgendwie von ihr fernhalten? Ihr habt ihn doch erst hergebracht – also holt ihn jetzt gefälligst zurück oder erledigt ihn. Wir wollen ihn hier auch nicht. Und wenn ihr wirklich so mächtig seid, dann tut endlich was!“
    „Solange Luc lebt“, erwidert Jeremiel leise, „bleibt sie der Katalysator und der Schlüssel. Wir können noch so mächtig sein – auf der Erde ist er nahezu unbesiegbar, weil er sich immer irgendwo verstecken kann. Er, der einst einer der Vollkommensten unter uns war, ist jetzt unsere schlimmste Geißel. Wenn wir ihn erledigen könnten, wie du sagst, hätten wir das längst getan. Wir alle …“ Jeremiels silbrig schimmernde Augen streifen mich eine Sekunde, dann richtet er sie wieder auf Ryan, „müssen unsere Rolle spielen und tun, was wir können.“
    Barachiel fügt mit seiner rauen Stimme hinzu: „Wenn Mercy geht, ist die Gefahr nicht gebannt, aber zumindest nicht mehr so groß. Es ist die einzige Möglichkeit.“
    Ich lege Ryan beschwichtigend eine Hand auf den Arm, ehe er noch mehr sagen kann, und wende mich unter Tränen, aber mit harter Stimme an meine Brüder: „Ich bin nicht eurer Meinung, aber ich werde tun, was ihr verlangt. Das Böse hat keine Gemeinschaft und ich bin nicht mehr böse. Der freie Wille, den angeblich nur wir Elohim besitzen, ist ein zweischneidiges Schwert. Ich bin frei und doch wieder nicht, weil ich in größeren Zusammenhängen denken und handeln muss und nicht nur auf mein eigenes Wohl bedacht sein darf. Es gibt keine Hoffnung auf Ausgleich, auf einen Kompromiss, sosehr ich es mir wünsche … Ach, wenn doch …“
    Selbst Ryan spürt die Kraft der Sehnsucht und Verzweiflung, die aus mir hervorbricht.
    Meine vier Brüder betrachten mich einen Augenblick sorgenvoll. Dann zieht Gabriel mich auf die Füße, hilft auch Ryan auf und legt unsere Hände zusammen. Ryan bringt vor Kummer kein Wort heraus.
    „Komm“, sagt Barachiel und sein mächtiges Gesicht ist jetzt wieder finster. „Wir wollen dir Gesellschaft leisten und mit dir an der Küste entlangfliegen. Und während du den Sterblichen nach Paradise bringst – einen unpassenderen Namen kann es kaum geben –, werden wir Raphael und Michael suchen.“
    Ich werfe Uriel einen erschrockenen Blick zu und er sagt leise: „Du wusstest, dass euch nur ein kleiner Aufschub gewährt war. Lass ihn jetzt gehen und eines Tages werdet ihr wieder vereint sein.“
    „Woher willst du das wissen?“, sagt Ryan bitter und starrt noch immer auf unsere vereinten Hände. Er umklammert meine Finger so fest, dass sie ganz weiß werden. „Wer sagt dir, dass wir je wieder zusammen sein werden? Und vielleicht ist mir das Hier und Jetzt lieber ist als irgendein Später? Was ist, wenn ich mich weigere?“
    „Dann bist du bereits verloren“, murmelt Barachiel. „Und es wird nie ein Später geben.“
    „Bring ihn nach Hause, Mercy“, sagt Gabriel leise. „Sobald Michael und Raphael in Sicherheit sind, kommen wir zurück und holen dich.“
    „Wie viel Zeit haben wir noch?“, fragt Ryan und in seinen dunklen Augen glänzen Tränen.
    „Nicht viel“, murmelt Gabriel. „Wenn der Moment da ist, werdet ihr es wissen.“ Er legt eine Hand auf meine Schulter. „Seine Liebe und Fürsorge für dich wird ihm tausendfach vergolten werden.“
    Uriel, der mich in meiner Zeit als Carmen behütet hat, fasst meine Hand und lässt mich in seine Gedanken ein, um mir den Weg zu weisen. Ich sehe die Route von der Küste bis zu Ryans Heimatort. Ich sehe die Hauptstraße, Ryans Haus und sogar den Baum, den Ryan damals in Brand gesteckt hat – alles durch Uriels Augen. Der Weg nach Paradise ist fortan kein Geheimnis mehr für mich.
    „Hast du es gesehen?“, fragt Uriel.
    Ich lasse den Kopf hängen, nicke und die Tränen laufen mir übers Gesicht und tropfen auf den Stein zu meinen Füßen.

Weitere Kostenlose Bücher