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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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verkrampfen sich und er verdreht die Augen. Ich weiß, was das bedeutet: Zwei fühlende Wesen kämpfen um die Vorherrschaft in ein- und demselben Körper.
    „Sag es mir!“, kreischt Schamschiel aus Ryans Mund und Ryans Wille und Körper wehren sich mit aller Macht gegen ihn.
    Ich spüre, wie meine Möglichkeiten schwinden. Unser beider Tod ist nah.
    Ich winke die Bestie in Ryan zu mir her, ganz schwach, da ich schwer verwundet bin. Der Dämon beugt sich herunter, um mir ins Gesicht zu sehen, und es kostet mich meine ganze Kraft, nicht den Kopf abzuwenden und mich vor Grauen zu übergeben. Denn unter Ryans Menschenhaut brodelt es vor roher Gewalt und meine Seele will sich schaudernd vor ihm verkriechen.
    So schnell, dass Schamschiel es nicht verhindern kann, greife ich mit der rechten Hand in Ryans Brust, und meine Finger lösen sich augenblicklich in Dunst auf.
    Ryan brüllt und windet sich in Todesqualen, aber ich lasse ihn nicht los. Ich ziehe ihn mit aller Kraft näher zu mir heran, suche verzweifelt die Stelle, an der Schamschiel sich wie ein Parasit eingenistet hat.
    Aber Ryan ist kein Steinengel, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut. Sein Körper fängt an zu brennen und ich weiß, dass ich ihn langsam umbringe.
    „Aaaaaaah!“, kreischt er in Todesqualen, als ihn das Feuer von innen und außen verschlingt.
    Dann streift etwas an meinem tastenden Willen vorbei, schnell und wendig wie eine entflohene Schlange – und in dem Moment, als es mich wieder berührt, schmettere ich: „Ejice eum!“ Wirf ihn aus!
    Kreischend vor Wut wird Schamschiel aus Ryans Körper hinausgeschleudert.
    Ich ziehe mich aus Ryans Körper zurück und meine rechte Hand materialisiert sich. Ich lege sie an meine Brust, weine Tränen aus Feuer, Tränen bitterer Reue, als Ryan neben mir auf den Boden stürzt und die Hände in seinen Hals und seine Brust krallt, um das Feuer zu löschen, das doch nur in seinem Inneren brennt.
    Er braucht dringend meine Hilfe, aber Schamschiel stellt einen Fuß auf meine linke Hand, bevor ich mit der rechten hinübergreifen und die Klinge herausziehen kann.
    „Eloah“, knurrt er, „denn das musst du sein, wenn auch die merkwürdigste, die mir je begegnet ist. Du siehst aus wie eine von ihnen , wie ein Erdenwurm, und du verhältst dich auch so. Aber nur die Elohim haben die Macht, einen Dämon in dieser Weise hinauszuschleudern, und Luzifer will euch alle. Wir sollen euch sammeln wie Schmetterlinge und zu ihm bringen, damit er nach seinem Willen mit euch verfahre.“ Er zeigt angewidert auf Ryan. „Aber der hier stirbt. Ich habe genug von dem Spiel, das Jetrel das Leben gekostet hat. Damit ist jetzt Schluss.“
    Schamschiels verbliebenes Schwert flammt in seiner Hand auf und ich weine noch heftiger, Tränen rollen mir aus den Augen wie Diamanten. „Nimm mich und verschone ihn!“, flehe ich ihn an. „Lass ihn. Lass ihn leben.“
    Der Dämon schaut aus großer Höhe auf mich herab und zischt: „Ob er jetzt oder später stirbt, was macht das für einen Unterschied? Bald sterben sie alle. Wir werden die Welt neu erschaffen, von Panama bis Mexiko, von Island bis Iran, von Kamtschatka bis Sumatra werden wir die Welt umgestalten –die Meere, die Ozeane, das Klima –, denn endlich erheben wir uns. Bald sind wir aus dieser Wildnis befreit, aus diesem Gefängnis. Und wir werden dieser Welt unsere Verachtung in die Knochen ritzen, in ihr Angesicht, sodass Gott selbst unsere Handschrift sehen kann, und dann gehen wir für immer fort.“
    Schamschiel umfasst den Griff seines Kurzschwerts mit beiden Händen und hebt es hoch über Ryans Körper, der hilflos zuckend neben mir liegt. Starr vor Entsetzen muss ich mit ansehen, wie die gewaltigen Muskeln in Schamschiels Schultern sich zusammenballen, wie sein Gesicht sich verzerrt, als er sich bereit macht, den tödlichen Schlag zu führen. Und ich liege da, kann keinen Finger rühren, nichts dagegen tun.
    Dann fängt die Zeit an zu rasen und steht zugleich still. Eine dünne Linie blauen Feuers züngelt über Schamschiels Kehle und er reißt entsetzt die Augen auf. Ich höre sein markerschütterndes Angstgeheul in den Himmel aufsteigen und in einer Riesenwelle aus Hitze und Licht verhallen.
    Dann ist Schamschiel fort und mit ihm der Nebel.
    Ich liege am Boden, von der flammenden Waffe eines toten Monsters gebannt, und über mir stehen vier geflügelte Riesengestalten. Sie sind ganz in Licht gehüllt, das einzig von innen kommt.
    Dann schließe ich die Augen und

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