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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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Schluchzend nehme ich Ryan in die Arme, denn er ist und bleibt meine Bürde. Dann schwingen wir uns zu sechst in die Lüfte und steigen in den tief hängenden Wolkenhimmel über Machu Picchu auf, wenden uns nach Westen zur Küste hin.
    Die Sonne geht gerade unter, als wir die finsteren Himmelsregionen über Chiclayo erreichen. Niemand sagt ein Wort, jeder ist in seine eigenen Gedanken, seine eigenen Qualen vertieft. Über dem offenen Meer lösen sich meine Brüder ohne Vorwarnung in Licht auf und sind schon halb am Golf von Panama, ehe wir überhaupt merken, dass sie fort sind.
    „Also das Fliegen werde ich jedenfalls nicht vermissen“, sagt Ryan unvermittelt und lächelt tapfer. „Jetzt, wo wir unter vier Augen sind, kann ich’s ja zugeben.“
    Ich bremse abrupt, komme kreisend zum Halten, und verwandle mich, sodass Ryan mich vor sich sieht – meine weit auseinanderstehenden braunen Augen, meine langen dunkelbraunen Haare, mein kantiges Gesicht, das Uriel viel besser steht als mir, wie ich finde. Vielleicht kann ich mich ihm zum letzten Mal in meiner wahren Gestalt zeigen. Die Zeit läuft uns davon und Ryan soll mich in Erinnerung behalten, wie ich bin.
    Ryans Augen leuchten auf. Staunend lässt er einen Finger über meinen schimmernden Arm gleiten und wie immer erschauert meine Seele. Meine Gewänder flattern und zerren an mir, als hätten sie einen eigenen Willen oder würden von einem Geisterwind aufgewirbelt. Schimmernde Energieschleifen lösen sich und driften ins Dunkel.
    Ryan nimmt mein Gesicht sanft in seine Hände, während ich ihn fest im Arm halte. „Schön, dass du wieder da bist, wo immer du herkommst“, wispert er.
    „Ich war immer da“, murmle ich. „Und wir hatten eine gute Zeit. War es nicht toll? Ein Riesenspaß?“
    Ich lache, um uns den Abschied zu erleichtern, aber ich kann die Verzweiflung in meiner Stimme nicht verbergen. Alles für immer vorbei, alles schon Erinnerung.
    Ryan antwortet nicht, sondern legt seine Lippen auf meine und küsst mich. Lange, leidenschaftlich.
    Eng umschlungen schweben wir in der Luft und blicken auf das dunkel werdende Meer hinunter.
    „Jedenfalls hast du mit mir die Welt gesehen“, sage ich verzweifelt. „Mit dem Mädchen, das du liebst. Was kann man sich Schöneres wünschen?“
    „Eine ganze Menge“, entgegnet Ryan hart. „Ein ganzes Leben.“
    „Das sagst du jetzt“, wispere ich kaum hörbar. „Aber ich habe genug Lebenszeiten hinter mir, ich weiß Bescheid. Mit Liebe fängt es an, und dann stürzt alles auf dich ein, überrollt dich und du kannst nichts dagegen tun, dass du dich veränderst oder dass die Menschen um dich herum sich verändern. Doch die Konsequenzen musst du trotzdem tragen. Ich wurde geschlagen, betrogen, missbraucht und beinahe umgebracht, Ryan. Keine besonders tolle Erfolgsbilanz. Das sind die Erinnerungen, die ich von dieser Welt mitnehme. Das habe ich über das Leben hier gelernt.“
    „Aber was hat das mit mir zu tun?“, stößt Ryan heftig hervor. „Nichts. Und ich lasse nicht zu, dass dir je wieder so was passiert. Ich kann dir nicht versprechen, dass das Leben nie langweilig wird, oder stressig oder einfach nur verdammt schwer – weil das hier unten nun mal so ist –, aber eins verspreche ich dir: Ich werde dich immer lieben. Und das sollst du in Erinnerung behalten, nicht das ganze Horrorzeug.“
    „Genau das Gleiche hat Luc mir auch mal gesagt.“ Die Worte purzeln aus mir heraus, ehe ich mich bremsen kann.
    Ryans Augen funkeln böse. „Luc ist das größte Arschloch der Weltgeschichte. Wir haben nur eins gemeinsam, und das bist du. Aber er hat’s vermasselt, was beweist, dass er ein Arschloch ist.“
    „Reden hilft nichts“, murmle ich. „Es ist vorbei, verstehst du? Aus. Schluss. Mehr kommt nicht. Oder vielleicht eines fernen Tages“, füge ich bitter hinzu. „Aber wer sagt mir, ob du dich dann noch an mich erinnerst? Die Zeit bleibt nicht stehen, und du lebst weiter, du hast deine Familie, deine Freunde, alles. Ich dagegen bleibe immer dieselbe und wühle in meinen löchrigen Erinnerungen, um alles noch einmal zu durchleben.“
    „Glaubst du, für mich ist es einfacher?“, schreit Ryan. „Was du gerade gesagt hast, trifft viel mehr auf mich zu als auf dich. Du fegst wie ein Hurrikan durch mein Leben, dann verlässt du mich einfach und ich sitze da mit meinen Erinnerungen.“
    Wir starren einander an, sehen keinen Ausweg.
    „So ein Gefühl hält nicht ewig“, murmle ich, als wollte ich mich

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