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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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so eine Nummer ab.“
    „Ja, weil ich muss. In dieser Gestalt werden sie mich nicht suchen“, sage ich scharf. „Es ist unsere Rettung.“
    Ryans Augen blitzen. „Kann schon sein, aber du leuchtest immer noch. Und das sehen sie garantiert. Wenn du deine Aura runterdimmst, klappt es vielleicht.“ Er schnippt mit den Fingern nach meinem schimmernden Handrücken.
    Ich erstarre. Wie konnte ich etwas so Wichtiges übersehen?
    „Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde“, seufze ich und blicke auf meine leuchtenden Hände hinunter.
    Als Carmen habe ich schwach im Dunkeln geleuchtet, wenn keine anderen Lichtquellen vorhanden waren. Im Tageslicht war meine Haut ganz normal. Aber das kann ich mir jetzt nicht leisten – im Dunkeln zu leuchten –, wenn so viel auf dem Spiel steht und jeder falsche Schritt den Tod für uns bedeuten kann. Ryan hat Recht: Ich muss das Leuchten ganz herunterfahren. Aber wie soll ich das machen?
    Ich richte meinen Willen nach innen, wie ich es gelernt habe, suche nach einem Versteck für meine Aura, so wie die Acht meine Seele jahrhundertelang in wechselnden Menschenkörpern versteckt haben. Ryan zieht hörbar die Luft ein, als der Schimmer, der mich einhüllt, verblasst und erlischt, bis ich in dem stockdunklen Turm nicht mehr zu erkennen bin. Ich halte das Licht tief in mir gefangen, und nur ich allein weiß, dass es da ist.
    „Na, was sagst du jetzt?“, frage ich wieder und meine Stimme klingt, als käme sie von überall und nirgends. „Gut so?“
    Ryan schweigt lange. Seine Augen tasten blind nach mir, und mir wird bewusst, dass er mich jetzt natürlich nicht mehr sehen kann.
    Ich spüre seine Angst, sein Misstrauen. Er denkt, dass ich ihn zurücklasse, weil er nutzlos ist. Nur im Weg. Aber das stimmt nicht. Er ist mein Reality-Check, meine Geheimwaffe, der einzige Grund, warum ich noch hier bin. Alles, was mir im Leben wichtig ist, sitzt neben mir in diesem Turm, zum Greifen nahe.
    „Ich bin froh, dass ich dich habe“, stoße ich heftig hervor, und das ist die Wahrheit.
    „Und das soll ich glauben?“, erwidert Ryan trocken. „Was hast du schon von mir? Ich kann doch überhaupt nicht mithalten. Und außerdem hab ich alles verloren. Ich hab meinen Matchbeutel bei der Garderobenfrau in der Galleria gelassen, mein ganzes Gepäck mit allem Drum und Dran. Ich hab nur noch mein Handy, meinen Geldbeutel, meinen Pass und die Zeichnung von dir, die dir jetzt nicht mal mehr ähnlich sieht. Ich kann absolut null zu unserer Mission beisteuern. Ich kann nicht … zaubern“, fügt er mit brüchiger Stimme hinzu, „jedenfalls nicht so wie du. Ich halte dich nur auf. Und ich will nicht an deinem Tod schuld sein.“
    „Das macht nichts, Ryan“, flüstere ich und finde mühelos seine Hand im Dunkeln. „Ohne dich könnte ich jetzt nicht ‚zaubern‘, wie du sagst, und das ist die reine Wahrheit.“
    Er drückt meine Hand und ich spüre seine Erleichterung.
    „Also stehst du noch zu mir?“, frage ich ihn streng.
    „Ja, klar – immer“, erwidert er ohne Zögern. „Auch wenn ich überhaupt nichts sehe.“
    Ich lache und ziehe ihn auf die Füße, und plötzlich übernimmt er wieder die Führung, ist wieder der alte Ryan, den ich aus Paradise kenne.
    „Als Erstes müssen wir uns orientieren“, sagt er und packt mich ganz fest, sodass ich mich nicht aus seinem Griff herauswinden kann. „Wir brauchen einen Plan, wie wir hier unbemerkt rauskommen. Es dauert noch Stunden, bis der Dom aufmacht. Wir haben also genug Zeit, dass ich mich ein bisschen umsehen und herausfinden kann, in welchem Teil des Gebäudes wir unsere Bruchlandung hingelegt haben.“
    „Du hast die Bruchlandung hingelegt“, sage ich zerknirscht und schiebe ihn die Stufen hinauf.
    Ryan bewegt sich normalerweise schnell und geschmeidig, mit der Leichtigkeit eines Athleten. Aber die Dunkelheit macht ihn unsicher, sodass er ins Stolpern gerät, als wir die ausgetretene, unebene Wendeltreppe hinaufsteigen. Ich nehme ihn an die Hand, denn ich sehe mühelos im Dunkeln, und trotzdem kann ich ihm nicht vermitteln, wo die Geländer, die Stufen und Absätze anfangen oder enden. Die schiefe Treppe ist selbst bei Tageslicht tückisch. Aber im Dunkeln ist sie für Menschen eine einzige Stolperfalle.
    „Wir müssen zu der Stadt am Seeufer, die ich im Traum gesehen habe“, sage ich in die Stille hinein, die nur von Ryans Keuchen und dem Scharren seiner Stiefel auf den Steinstufen unterbrochen wird. „Und ich weiß auch, wo

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