Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
Vom Netzwerk:
braucht Ruhe, sonst nichts“, seufze ich, als der Arzt gegangen ist, „aber ich hab noch was Dringendes zu erledigen und er will unbedingt mitkommen. Könntest du uns vielleicht eine ordentliche Mahlzeit und was zu trinken für ihn besorgen? Ich weiß nicht, wann er zum letzten Mal richtig gegessen hat. Außerdem sind seine Klamotten zerrissen, und er braucht einen neuen Rucksack. Ach ja, und … Requisiten.“
    „Requisiten?“, wiederholt Gia.
    Ich runzle die Stirn, suche vergeblich nach dem richtigen Wort. „Requisiten“ ist mein privates Kürzel für den Prozess der Gestaltwandlung, aber Ryan ist kein Gestaltwandler.
    „Na du weißt schon, so Sachen halt“, sage ich. „Damit man ihn nicht gleich erkennt. Weil er so unverwechselbar ist – und dem anderen so ähnlich sieht.“
    Ich sehe Luc vor mir, wie er Ryan über den Laufsteg hinweg anfunkelt, Ryan und Luc, der eine so dunkel, der andere so hell, wie das Negativ und Positiv ein- und desselben Fotos. Und ich dazwischen.
    „Oh, der sexy Ex“, grinst Gia, der plötzlich ein Licht aufgeht. „Der blonde Gott, der neben Gudrun gesessen hat. Ich hab weiche Knie gekriegt vor Gier, als ich ihn gesehen habe.“
    „Das ist seine Spezialität“, erwidere ich, und plötzlich schießt mir ein entsetzlicher Gedanke durch den Kopf. „Gia, Ryan ist in Lebensgefahr. Wenn sie mich nicht finden, heften sie sich an seine Fersen.“
    „Dann ist es besser, wenn ihr zusammenbleibt“, sagt Gia, um mich aufzumuntern. „Und aufeinander aufpasst.“
    „Was bleibt mir auch anderes übrig?“, entgegne ich bedrückt. „Ich kann ihn einfach nicht aufgeben.“
    Gia grinst. Mit einem halb amüsierten, halb bedauernden Blick schaut sie auf Ryan hinunter. „Wie Schokolade. Versteh ich total. Okay, ich schalte Tommy ein, der soll ihm eine Tasche packen. Aber was ist mit dir?“
    „Ich brauche nichts, nur Informationen“, sage ich zögernd. „Ein Update.“
    Gias Blick wird hellwach. „Okay. Schieß los.“
    „Weißt du noch, was ich dir über das schreckliche Feuer erzählt habe, das die Städte Domaso, Gravedona, Rezzonico, Menaggio, Tremezzo, Argegno, Laglio und Urio zerstört hat?“
    Gia nickt und schlingt die Arme noch fester um sich, als wäre ihr kalt, sodass die Metallspikes auf ihren Schultern das grelle Licht im Raum reflektieren.
    „Was ist nach Urio passiert?“, frage ich. Gia runzelt die Stirn. „Ich meine, war da noch mehr …?“, füge ich hinzu.
    „Das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen“, erwidert Gia. „Aber Juliana weiß es vermutlich. Sie hat eine Villa am See, so wie Giovanni. Ihr Personal dort wird sie sicher auf dem Laufenden halten.“
    Ich folge Gia durch das Zimmer zu Juliana, die immer noch wie ein Häufchen Elend am Esstisch unter den hohen Fenstern sitzt. Von ihrer Vitalität, ihrer Neugier ist nichts mehr zu spüren. Gia stellt ihr meine Frage in schnellem Italienisch und sie blickt erschrocken auf.
    „Soviel ich gehört habe, wurde Moltrasio teilweise zerstört, bevor das Feuer dann plötzlich erloschen ist. Nach Moltrasio gab es keine neuen Brände mehr.“
    „So als ob der Brandstifter plötzlich ausgeschaltet worden wäre?“, frage ich in perfektem Italienisch.
    Gia sieht mich verwundert an, doch sofort setzt sie wieder das übliche Pokerface auf.
    Juliana nickt verwirrt. „Ja. Genauso wurde es mir beschrieben: Dem Brandstifter muss das Handwerk gelegt worden sein. Und er muss mit dem Teufel im Bunde stehen, denn das war kein normales Feuer. Es schien, als sei es lebendig …“
    Juliana bekreuzigt sich schaudernd und sagt zu Gia: „Der Familiensitz von Bianca St. Alban ist in Moltrasio. Ich habe noch nicht bei ihr angerufen, um mich nach ihr zu erkundigen und ihr zu sagen, dass ich ihr die Abendkleider, die sie bestellt hat, schenken möchte. Keines der Stücke aus Giovannis letzter Kollektion wird je wieder neu produziert werden, für niemanden. Aber Giovanni hätte gewollt, dass Bianca die Kleider bekommt, die sie sich ausgesucht hat, bevor … bevor er …“ Juliana schaut auf den Boden, aber nicht schnell genug, um die Tränen zu verbergen, die ihr in die Augen schießen. „Die Polizei lässt nur Einheimische in das Katastrophengebiet“, wispert sie. „Ich könnte die Kleider natürlich selbst abliefern, aber ich bringe es nicht übers Herz, mir das anzuschauen. Es ist viel zu …“ Ihre Stimme versagt.
    Ich muss schnell wegsehen, damit sie nicht das plötzliche Aufflackern in meinen Augen sieht.

Weitere Kostenlose Bücher