Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
Vom Netzwerk:
Flur auf und sagt zerstreut: „Entschuldigt mich einen Augenblick, muss nur ein paar Sachen packen.“
    Sie nimmt sich nicht die Zeit, ihre Schlafzimmertür zuzumachen, und ich höre, wie sie hastig Schränke öffnet und schließt, wie Reißverschlüsse zugezogen werden. Fünf Minuten später erscheint sie mit einer kleinen Reisetasche, in der anderen Hand hält sie einen Schlüsselbund. Sie trägt wieder ihren grauen Pulli und die schwarzen Jeans und ihre Füße stecken in schweren schwarzen Stiefeln. Die Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
    „Willst du nicht mit uns kommen?“, fragt Ryan besorgt, als Bianca alle Lichter um uns herum ausknipst, ein paar Zahlen in die Leuchttastatur neben der Eingangstür tippt und uns dann hinausscheucht.
    Bianca schüttelt den Kopf. „Vor dem Teufel ist man nirgends sicher, oder? Ein paar von meinen Angestellten stammen aus Familien, die schon immer hier gearbeitet haben. Sie kennen nichts anderes. Sie werden dableiben und Haus und Hof verteidigen, wenn es nötig ist – genau wie ich. Überlasst das nur mir und kümmert euch um die Befreiung … der … der Erzengel.“
    Das schwache Summen eines Automotors dringt an mein Ohr, dann knirschen Reifen über den Kies. Ich lege eine Hand auf Ryans Arm, als der Wagen vor uns in Sicht kommt, und er nickt. Wir schauen zu, wie der Wagen langsam die Einfahrt herunterrollt und in einer Wegbiegung vorübergehend wieder aus unserem Blickfeld verschwindet.
    „Ryan“, sage ich hastig, „solange wir im Auto sind, siehst und hörst du nichts von mir. Trotzdem bin ich bei dir, ganz nahe. Du wirst mich auch nicht ins Flugzeug einsteigen sehen, aber ich komme zu dir, wenn ich kann. Okay?“
    Er schaut mich unsicher an und ich lege meinen Handrücken an sein Gesicht. „Ich bin bei dir. Das ist kein Trick. Wir beide bleiben zusammen, komme, was wolle. Das ist der Deal.“
    Bianca legt jetzt auch endlich ihre Hand auf meinen Arm, ganz vorsichtig, obwohl sie schon lange darauf brennt, mich zu berühren. „Du fühlst dich so …“
    „… wirklich an?“, beende ich ihren Satz mit einem schiefen Lächeln, und Ryan grinst ebenfalls. „Das sagen alle zu mir.“
    „Und warm“, fügt Bianca mit leichtem Stirnrunzeln hinzu. „Das hätte ich nicht erwartet. Weil du so glatt und makellos aussiehst, denkt man, du musst kalt wie Marmor sein.“ Sie lässt ihre Hand sinken. „Das hört sich irgendwie verrückt an, ich weiß.“
    „Nicht für mich“, erwidere ich leise.
    „Ich weiß nicht, wie ich euch Glück wünschen soll“, murmelt Bianca. „Aber ihr werdet es brauchen.“
    „Und du auch“, sage ich. Sie erscheint mir fast zu schmal, zu zerbrechlich für das, was auf sie zukommt, aber Mut kann viele Formen annehmen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. „Bona fortuna“ , sage ich förmlich. Viel Glück.
    „Euch auch“, wispert sie.
    Ich neige dankend den Kopf, bewundere ihre Tapferkeit. Dann lasse ich meine Umrisse zu einem hellen Dunst verschwimmen, bis ich wieder gewichtlos bin, selbst Luft bin.
    Als der tief liegende schwarze Luxury Sedan mit eingeschalteten Scheinwerfern vor dem Gästehaus hält und Tomaso aussteigt, bin ich nirgends mehr zu sehen. Nur Ryan steht da, mit geschultertem Rucksack, Brille auf der Nase, die Basecap tief in die Stirn gezogen. Bianca wartet neben ihm.
    „Wo ist denn das Mädchen?“, höre ich Tomaso misstrauisch fragen.
    „Es konnte nicht mehr warten“, erwidert Bianca und sieht ihn ruhig an. „Ist schon vorausgefahren.“
    „Dann muss sie entweder wahnsinnig oder todesmutig sein“, entgegnet Tomaso in leicht abfälligem Ton. Er hält Ryan die Tür auf und winkt ihn hinein.
    Ryan und Bianca wechseln einen Blick miteinander, dann hält er ihr höflich die Hand hin, ein wenig verlegen, und sie drückt sie kurz mit beiden Händen.
    Als Ryan geduckt im Wageninneren verschwindet, schwinge ich mich aufs Dach des Sedan, wo ich den besten Überblick habe.
    Der Fahrer startet den Wagen und biegt in die Uferstraße ein. Hinter uns schließen sich die Tore und Bianca und Tomaso verschwinden aus unserem Blickfeld.
    Der Wagen beschleunigt, und jetzt nehme ich den dichten, unnatürlichen Nebel wahr, der langsam, aber stetig vom See aufsteigt und sich zu beiden Seiten des Ufers ausbreitet, als wollte er die Welt verschlingen.
    Bona fortuna , flüstere ich noch einmal und denke an die tapferen Seelen auf dem Hügel. Viel Glück.

Der Nebel lockt die Toten ans Seeufer.
    Ich sehe sie in dem

Weitere Kostenlose Bücher