Mercy, Band 4: Befreit
Pullover, aber Ryan kommt trotzdem nicht näher, und ich sage rau: „Was erwartest du denn von einem Monster wie mir? Ich kann das alles nicht. Woher soll ich auch wissen, wie das geht – einfach ich selber sein? Die Acht hätten mich töten sollen, aber sie haben nicht auf mein Flehen gehört. Ich bringe allen nur Unglück. Ich bin ein Seelenkrüppel, ich …“ Verzweifelt schlage ich die Hände vors Gesicht.
„Du hast die Acht angefleht, dich zu töten?“, fragt Ryan mit erstickter Stimme.
Er zerrt mir die Hand vom Gesicht und schüttelt mich heftig.
„Ich bin so schwer verletzt an dem Ort aufgewacht, zu dem wir jetzt fliegen, dass es ein Wunder ist, dass ich überhaupt wieder zu mir gekommen bin“, wispere ich. „Die Acht haben alle auf mich heruntergestarrt und mich mit Ihrer Schönheit und Makellosigkeit verhöhnt. Mit ihrer schrecklichen Macht. Aber ich konnte sie noch so sehr anflehen, mich zu erlösen, sie haben es mir verweigert. Michael sagte, dass es allem widerspräche, wofür wir stehen. Dass es ihnen unmöglich sei, das Leben einer Eloha zu beenden, egal was ich getan habe. Auch wenn ich hochmütig und eitel und die willige Geliebte der größten zerstörerischen Kraft im Universum gewesen sei. Sie haben mich nicht erhört, obwohl ich ihnen all meinen Schmerz, meinen Kummer, meine Wut und Verwirrung ins Gesicht geschleudert habe. Und das ist jetzt das Ergebnis all der Mühe, Liebe und Fürsorge, die sie mir angedeihen ließen, die ich nie verdient habe und nie zurückzahlen kann. Ich bin ein Häufchen Elend. In jeder Hinsicht.“
Ryan zieht mich in seine Arme, hält mich, wiegt mich, bis ich allmählich zu zittern aufhöre und der Schmerz in mir nachlässt.
„Du hättest dein Gesicht sehen sollen“, murmelt Ryan tapfer, um mich auf andere Gedanken zu bringen. „Ich dachte, du springst ihr gleich an die Kehle.“
Ich lache schaudernd. „So seh ich immer aus. Du wirst dich dran gewöhnen müssen.“
Dann sagen wir lange nichts, halten uns nur umschlungen und durchdringen uns mit unserer Körperwärme. Nach einer Weile lockert sich Ryans Griff, und ich sehe, dass er eingeschlafen ist. Ich lächle still vor mich hin, weil er immer und überall sofort einschläft.
Vorsichtig beuge ich mich über ihn und küsse ihn zart auf seinen vollen, geschwungenen Mund, und plötzlich bemerke ich den Schatten, der vom Mittelgang her über uns fällt. Ich spähe nach vorne, aber Rosa ist schon geflüchtet. Mit einem leisen Schreckenslaut stürzt sie vor zum Cockpit, hämmert wild gegen die Tür und reißt sie auf.
Kurz darauf kommt Rosa mit einem der beiden Piloten zurück. Der Typ betrachtet den schlafenden Ryan, dann schnellen seine haselnussbraunen Augen zu Rosa zurück. „Wo ist das Problem?“, fragt er leise auf Englisch mit unverkennbar niederländischem Akzent. Er öffnet die Tür zum Waschraum und sieht sich rasch darin um. „Wo soll das Mädchen denn sein? Hier ist niemand.“ Ratlos hebt er die Hände. „Hier kann sich keiner verstecken.“
Dann knallt er die Tür zum Waschraum zu und Ryan schreckt hoch. Er setzt sich auf und ist sofort hellwach, als er Rosa und den Piloten sieht, die noch immer zu ihm herunterstarren.
„Was ist los?“, fragt er und schaut sich vorsichtig nach mir um. „Sind wir schon da?“
Der Pilot setzt ein freundliches Lächeln auf, obwohl er sichtlich genervt ist. „Wir landen jeden Augenblick, Mr Daley. Wenn Sie also bitte an Ihren Platz zurückgehen wollen?“
Er zeigt auf den Vierertisch, dann geht er zum Cockpit zurück und Rosa trippelt mit hochrotem Kopf hinter ihm her.
„Aber ich hab sie doch gesehen! Er hat sie im Arm gehalten, ehrlich. Warum hast du ihn denn nicht gefragt?“
Der Pilot schüttelt den Kopf und erwidert barsch: „Ja, und dann? Ich mach mich doch nicht zum Affen! Hier gibt es kein Versteck. Du hast einen Geist gesehen. Also hör jetzt auf mit dem Blödsinn, Rosa. Wir sind gleich da.“
„Das war knapp“, wispere ich zerknirscht in Ryans Ohr, und seine Augen weiten sich erschrocken. „Wir sehen uns nach der Landung.“
Als das Flugzeug vor dem Hangar der StA Global Logistics in Le Bourget zum Stehen kommt und der Zollbeamte die Kabine betritt, rutsche ich die Falttreppe hinunter und sehe sofort den schwarzen Luxury Sedan mit den getönten Scheiben, der keine zehn Meter von der Maschine entfernt wartet. Ein schlanker, mittelgroßer junger Typ lehnt vorne an der Haube. Er hat dunkle Augen, ein spitzes, glatt rasiertes Gesicht
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