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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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und kurze hellbraune Haare, die ihm in kunstvoll gegelten Stacheln vom Kopf abstehen. Er trägt einen stylischen Kamelhaarmantel über einem marineblauen Anzug, alles maßgeschneidert, und hat die Hände tief in den Manteltaschen vergraben.
    Der Wind ist eisig. Es sind höchstens fünf Grad über null und der Himmel ist bleigrau, was normal für diese Jahreszeit ist. Dezember in Paris. Die Vorstellung erfüllt mich mit einer solchen Panik, dass ich mich kaum noch rühren kann.
    Widerstrebend schwebe ich auf den Wagen zu und umkreise ihn in gebührendem Abstand. Der Chauffeur hat ein intelligentes, waches Gesicht, ein bisschen wie Gia Basso, und genau wie bei Gia fällt es mir schwer, seine Gedanken zu lesen.
    Nach ungefähr zwanzig Minuten erscheinen die Zollbeamten auf der Falttreppe, und einer von ihnen lacht schallend über etwas, was der andere gerade gesagt hat. Kurz darauf taucht Ryan in der Tür auf, und ich erhasche einen Blick auf Rosa, die hinter ihm steht. Ihr Gesicht ist völlig starr, genauso wie ihre Körperhaltung.
    Der Fahrer richtet sich lässig auf, als er Ryan sieht, und öffnet ihm die Fondtür auf der Fahrerseite. Obwohl er so entspannt wirkt, lässt er Ryan nicht aus den Augen.
    Ryan kommt die Treppe herunter, setzt Basecap und Brille auf und zieht die Schultern ein, um sich kleiner zu machen, als er ist.
    „Sag dem Fahrer, er soll vor dem IRL - INDUSTRIES -Hangar halten. Dort warte ich“, flüstere ich ihm zu.
    Ryan ist inzwischen ein Profi, denn er zuckt mit keiner Wimper, als er meine körperlose Stimme hört. Zügig und mit gesenktem Kopf geht er auf den Wagen zu, den Rucksack über der Schulter. Der Fahrer nickt ihm zu und Ryan nickt zurück. Sekunden später startet der Wagen, und ich muss mich beeilen, um vor ihnen am Hangar zu sein.
    Als der Wagen neben mir anhält, habe ich wieder meine Mailänder Gestalt angenommen. Der Fahrer steigt aus und öffnet die andere Fondtür für mich. Er nickt und sagt höflich „Mademoiselle“, ohne die geringste Verwunderung in seiner rauen Stimme. Dann hilft er mir in den Wagen. Ryan greift zu mir herüber und schnallt mich fürsorglich an, als wäre ich ein kleines Kind. Und dabei weiß er doch, dass ich keinen Sicherheitsgurt brauche!
    Der Fahrer schließt die Tür hinter mir. Wir sind nicht durch eine Scheibe von ihm getrennt, sodass ich mit anhören kann, was er auf Französisch in sein Funkgerät spricht: „Ja, ich hab ihn. Ist so ein dummer reicher Schnösel, der mir nicht mal sagen kann, wo er überhaupt hinwill. Wir haben gerade seine Freundin aufgelesen … Was? Nein, nein, viel zu groß für mich, nichts zum Anbaggern. Aber vielleicht kann sie mir wenigstens sagen, was Sache ist. Ich melde mich dann sofort bei dir.“
    Alles in mir sträubt sich beim Klang seiner Stimme, und im ersten Moment würde ich mir am liebsten die Ohren zustopfen und den Kopf zwischen den Knien vergraben.
    Ryan schüttelt mich plötzlich und sagt: „Jetzt machst du mir aber wirklich Angst“, während der Typ vor sich hin mault: „Que Dieu nous défende contre les mioches riches et idiots!“  – Der Himmel bewahre uns vor diesen dummen reichen Schnöseln! Ich krümme mich zusammen und blende sein melodiöses Französisch aus – ein Schutzmechanismus, um nicht durchzudrehen. Ich kann die Satzmelodie, den Rhythmus dieser Sprache nicht ertragen, obwohl sie eine der schönsten ist, die die Menschheit je ersonnen hat. Aber für mich ist es, als würde man mich mit glühenden Eisen foltern.
    „Monsieur?“, sagt der Fahrer laut. „Mademoiselle? Wo darf ich Sie denn nun hinbringen?“ Und kaum hörbar fügt er hinzu: „Une réponse aujourd’hui serait préférable. Nom de Dieu!“ Und hoffentlich krieg ich heute noch ’ne Antwort, Herrgott noch mal.
    Der Fluch lässt mich zusammenzucken. Ich habe ihn tausendmal gehört – von Fischweibern, Straßenhändlern und Schankwirten, von Hutmachern, Pfarrern und Totengräbern. Ich hole tief Luft, dann hebe ich den Kopf und brülle in beinahe fließendem Französisch: „Bringen Sie uns zum Cimetière des Innocents und warten Sie dort, bis ich Ihnen sage, dass Sie wegfahren können. Haben Sie mich verstanden?“
    Der Typ kann seine Verblüffung gut verbergen, das muss man ihm lassen. Er zieht nur leicht die Augenbrauen hoch, ehe er wieder nach vorne schaut. Ruhig und in beleidigend gutem Englisch fragt er: „Sind Sie sicher, dass Sie zum Cimetière des Innocents wollen? Zu dem Ort, wo er mal war?“
    Er betont das

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