Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
Wagen.«
Tatsächlich? Mit
der freien Hand griff Bentz bereits nach Schlüsseln und Brieftasche.
»Ich denke, sie hat nicht damit gerechnet, dass
ich aus dem Fenster schaue.«
»Hat sie dich gesehen?«
»Ich glaube nicht.«
»Moment mal. Du hast eine Frau in einem grauen
Wagen gesehen, die aussah wie Jennifer?« Wieder blickte er durch die Blendläden
auf den dunklen, nur vom Neonlicht des Motelschildes erleuchteten Parkplatz.
Irgendetwas an der Sache kam ihm nicht geheuer vor. »Ja!«
»Wie hast du sie erkennen können?«
»Ah ... die Straßenlaterne. Der Wagen hat unter
der Straßenlaterne gehalten, und sie hat direkt zum Haus geblickt. Direkt in
meine Richtung.«
»Ist sie noch da?«
»Keine Ahnung. Sie ist ganz langsam
weitergefahren, durch die Wendeschleife der Sackgasse, vor drei oder vier Minuten.
Ich hab Angst. Sie ist tot, Rick! Oder zumindest dachte ich das.« Lorraines
Stimme klang heiser vor Panik. »Ich wusste nicht, was ich tun soll, und da
beschloss ich, dich anzurufen.«
»Ich bin in einer halben Stunde da. Warte auf
mich.« Er legte auf und warf sein Schulterholster und die neue Jacke über,
dann schlüpfte er in seine Schuhe. Der Handyakku war fast leer, trotzdem
steckte er es zusammen mit seiner Dienstmarke in die Tasche. Ohne das
schmerzende Bein zu beachten, stürmte er aus dem Zimmer und auf den Parkplatz.
Im Wagen drehte er den Zündschlüssel und raste mit quietschenden Reifen vom
Parkplatz auf die Straße. Noch jemand hatte Jennifer gesehen oder zumindest die
Frau, die aussah wie sie. Endlich. Auf dem Weg zur Interstate 405 rief er
Jonas Hayes an.
Er wurde direkt an den Anrufbeantworter
weitergeleitet und erklärte Hayes den Grund seines Anrufs.
Er raste über den Freeway Richtung Süden,
schlängelte sich durch das Meer aus Rücklichtern, um schneller voranzukommen,
immer an der Grenze zur erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Die Nacht war klar,
und irgendwo hoch über den Lichtern der Stadt leuchteten die Sterne. Er sah den
Mond und das Blinken der Flugzeuge am Himmel, doch in Gedanken war er bei
seinem Telefonat mit Lorraine.
War das möglich? Zeigte sich »Jennifer«
absichtlich, oder kundschaftete sie Lorraines Haus aus? Oder drehte Lorraine
einfach durch? Bildete sich Dinge ein? Wie
du? Seine Gedanken überschlugen sich und spornten
ihn an, noch schneller zu fahren. Die Tachonadel zeigte bereits über achtzig.
Als er um einen glänzend roten BMW
herummanövrierte, kam ihm ein weiterer Gedanke. »Verdammt!« Shana war bereits
tot. Hielt »Jennifer« Ausschau nach ihrem nächsten Opfer? Dieser Gedanke traf
ihn schwer. War die Frau, nach der er suchte, eine Mörderin? Sein Magen
verwandelte sich in einen schmerzhaften Knoten, und er trat aufs Gas und
flitzte an einem nach Diesel stinkenden Milchlastwagen vorbei. Ein Idiot auf
einem Motorrad überholte, als stünden er und der Neunachser auf der Stelle.
Der Motorradfahrer musste um die hundert draufhaben, vielleicht mehr. Idiot!
Minuten verstrichen, und Bentz versuchte, sein
Handy via Willenskraft zum Klingeln zu bringen. Er musste mit Hayes oder
jemandem vom Department reden! Dann entdeckte er die Ausfahrt. Ein Mädchen in
einem Honda zog an ihm vorbei und tippte derweil eine SMS in ihr Handy. Er bemerkte
es kaum.
Bentz konnte kein Risiko eingehen, was Lorraines
Leben betraf. Er vermochte nicht zu sagen, was diese »Jennifer« vorhatte, aber
sein Bauchgefühl verriet ihm, dass es nichts Gutes war. Er ging vom Gas, bog ab
und hinterließ eine weitere Nachricht auf Hayes' Anrufbeantworter, in der er
den Detective bat, ihn umgehend zurückzurufen. Bentz brauchte diese
Bestätigung, die Bestätigung dafür, dass er nicht den Verstand verlor. Dass es
sich nicht um Hirngespinste handelte. Dass er nicht den Geist einer toten Frau
heraufbeschwor. Und genau das konnte Lorraine nun bestätigen.
»Scheiße!«, murmelte er, als er die
Abfahrtsrampe hinunter auf den Verkehr zufuhr, der sich vor der Ampel staute.
Ein kleiner Mann mit Mantel, Tarnhose und einem Hut mit einer langen Feder
schob langsam einen überquellenden Einkaufswagen über die Fahrbahn. Die Zeit
verstrich. Kostbare Zeit.
Endlich hatte der Mann die Straße überquert, die
Ampel sprang auf Grün, und die wartenden Fahrzeuge setzten sich wieder in
Bewegung. Bentz gab Gas. Sein Herz hämmerte wie verrückt, angetrieben von der
Aussicht, Jennifer Auge in Auge gegenüberzustehen.
Lorraine Newell wusste, dass sie sterben würde.
Zitternd beobachtete sie die Frau, die sie
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