Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
überfallen hatte, die Frau, die ihr
das Telefon ans Ohr und eine Pistole an die Schläfe gehalten hatte und die
jetzt den Hörer im Wohnzimmer auflegte. Sämtliche Vorhänge waren zugezogen.
Sie waren allein. Sie hatte Rick Bentz belogen, hatte ihn gebeten,
vorbeizukommen. Sie hätte ihn warnen, ihm die Wahrheit sagen müssen, doch sie
hatte Angst gehabt, so verdammt große Angst. Diese Hexe würde sie in jedem Fall
töten.
Sie erschauerte innerlich und blickte die Frau
mit der Waffe an, die dunkle, tödliche Mündung, die nur Zentimeter vor ihrer
Stirn schwebte.
»Er kommt«, wisperte sie und fürchtete, gleich in
die Hose zu machen. Warum war sie so dumm gewesen und hatte dieser Frau die Tür
geöffnet, um sie ihr Telefon benutzen zu lassen? Sie hatte einfach guter
Samariter spielen wollen. Doch sobald sie die Tür geöffnet und das Telefon
durch den Spalt gereicht hatte, verwandelte sich die Frau, die ihr vorgejammert
hatte, sie müsse einen Abschleppwagen rufen, aber ihr Handyakku sei leer, in
einen Dämon. Sie stieß die Tür in Lorraines Gesicht, zog eine schwarze Pistole
aus der Jacke und rammte Lorraine die stählerne Mündung tief in die Rippen.
Als sie drinnen war, hatte sie Lorraine die
Hände auf dem Rücken gefesselt, ihr das Telefon ans Ohr gepresst und sie
gezwungen, einen Text abzulesen und nur im Notfall zu improvisieren.
Das hatte sie getan. Sie hätte alles getan, um ihr Leben zu retten.
Doch vergeblich, das wusste sie jetzt.
»Lass mich ... lass mich aus der Sache raus,
bitte«, flehte sie verzweifelt. Schweiß rann ihr über den Rücken. Sie zitterte.
»Ich werde niemandem etwas sagen. Ich verspreche
es.
Wenn Bentz kommt, werde ich ... werde ich ihm
sagen, dass alles nur ein Scherz war.«
»Das ist es auch«, erwiderte die Frau
hintersinnig.
»Bitte.«
»Halt die Klappe!«
Wenn sie nur weglaufen, die Pistole wegstoßen
könnte! Doch es war zu spät. Lorraine zweifelte nicht eine Sekunde, dass diese
Teufelin sie ins Jenseits befördern würde. Ohne ein Fünkchen Gnade riss ihr die
Frau das Blatt aus der Hand, von dem Lorraine hatte vorlesen müssen. Lorraine
hatte in ihrem Gesicht nach einem winzigen Anzeichen von Erbarmen gesucht,
einem Riss in der eisigen Fassade. Doch der eiskalte Ausdruck blieb, und die
Frau stieß Lorraine vor sich her durch einen kleinen Flur in die Küche. In der
es dunkel war.
O Gott. Es musste doch einen Weg geben, sich in
Sicherheit zu bringen!
»Beweg dich!«, befahl die Frau und drückte die
unnachgiebige Pistolenmündung fest in ihren Rücken. Tränen liefen über
Lorraines Gesicht. Ihr Herz pochte so rasend schnell, so unregelmäßig, dass sie
das Gefühl hatte, es würde explodieren. Sie sprach ein stummes Gebet und flehte
Gott um Gnade an.
»Bitte, bitte tu das nicht«, flüsterte sie
angstschlotternd. Sie wollte nicht sterben. Jetzt doch noch nicht! Und nicht
auf diese Art und Weise. »Bitte«, flehte sie noch einmal. Ihre Stimme brach vor
Verzweiflung. »Ich werde keiner Menschenseele etwas verraten. Ich schwöre es.
Du kannst mir vertrauen.«
»Schscht. Alles wird gut.« Langsam fuhr die Frau
mit der kalten Pistolenmündung Lorraines Rückgrat hinauf, vom Kreuz bis zur
Schädelbasis. Dort hielt sie inne. Oh,
lieber Gott!
In dieser entsetzlichen Sekunde wusste Lorraine,
dass es vorbei war.
Nichts, was sie tat oder sagte, würde diese
durchgedrehte Verbrecherin von ihrem Vorhaben abbringen. Sie schloss die Augen
im selben Augenblick, in dem der Schuss die Stille zerriss.
24
Bentz spürte, dass etwas in der Luft lag, in der
Stille der Nacht. Die Straße war leer, als er vor Lorraines Haus anhielt - kein
silberner Chevy, nichts. Aus dem dreigeschossigen Haus fiel Licht, aber
sämtliche Vorhänge waren zugezogen. Hatte Lorraine nicht gesagt, sie habe
Jennifer gesehen, als sie aus dem Fenster blickte? Doch es kam noch schlimmer:
Als er sich dem Haus näherte, stellte er fest, dass die Haustür offen stand.
Hatte sie sie für ihn geöffnet?
Niemals. Als er mit Lorraine telefoniert hatte,
war sie außer sich gewesen vor Angst. Jeder einzelne Muskel in seinem Körper
spannte sich an. »Lorraine!«, rief er und zog langsam und geräuschlos die
Waffe aus seinem Schulterholster. »Lorraine? Ich bin's, Rick Bentz.« Stille.
Er witterte die Gefahr, stieß vorsichtig die Tür
mit seiner Waffe an, und als es drinnen ruhig blieb, schlüpfte er ins Haus. Das
Licht im Wohnzimmer war an, und er erstarrte, als er gegenüber eine fast
unmerkliche
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