Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
vernichten.
Prüfend blicke ich mich in der Halle um und
versichere mich, dass keine Cops auf den Wartestühlen lungern oder sich hinter
einer aufgeschlagenen Zeitung verstecken. Die Geschäftsreisenden und Familien
hier sind keine Undercover-Beamten.
Nein, die Gepäckausgabe sieht sauber aus. Ich
hole tief Luft. Ich muss ruhig bleiben. Diesen Vorsatz im Hinterkopf, zwinge
ich mich zu einem falschen Lächeln. Es ist absolut wichtig, dass Olivia Bentz
mir vertraut, mir abkauft, dass ich sie zu ihrem geliebten Ehemann chauffieren
will. Bei dem Gedanken möchte ich mich übergeben. Wieder suche ich mit den
Augen den Zugang zur Gepäckausgabe ab, betrachte prüfend die Gesichter der
Reisenden auf der Jagd nach der einen, die sich für immer in mein Gehirn
eingebrannt hat.
Wo ist sie, um Himmels willen? Ich fange an, auf
und ab zu gehen, doch dann bleibe ich wieder stehen. Ich will keine
Aufmerksamkeit erregen, bislang bin ich den Überwachungskameras gewissenhaft
ausgewichen, habe ihnen den Rücken zugedreht und mein Gesicht abgewendet. Die
Perücke und die Brille tun ein Übriges, doch ich darf nicht zu viele Risiken
eingehen. Meine Handflächen beginnen zu schwitzen. Wo zum Teufel ist sie?
Verdammt noch mal, könnte das Miststück bitte auftauchen?
Ich habe sie angerufen, ihr von Petrocellis
Handy aus eine Nachricht hinterlassen ...
Das Mobiltelefon schrillt. Endlich!
Ich gehe rasch dran und zwinge mich, »Officer
Petrocelli« in den Hörer zu sagen.
»Hi, hier ist Olivia Bentz. Ich glaube, Sie
haben versucht, mich zu erreichen. Mein Mann sagte, Sie würden mich vom
Flughafen abholen, irgendwo in der Gepäckausgabe?« Sie klingt gestresst und
müde.
Meine Nerven entspannen sich ein wenig. »Das ist
richtig«, erwidere ich.
»Ich stehe neben dem Gepäckförderband von
United.« Und dann entdecke ich sie. Sie trägt eine Sonnenbrille, hat eine
Handtasche bei sich und zieht nur eine Reisetasche hinter sich her.
Leichtes Gepäck. Cleveres Mädchen.
Wir lächeln beide und stecken unsere Handys ein.
»Olivia Bentz?«, rufe ich und winke ihr zu. »Wie
war Ihr Flug?«
Sie zuckt die Achseln. »Verspätet.«
»Ich bin Sherry, eine Freundin von Jonas Hayes.
Er hat mich gebeten, Sie abzuholen.«
»Ja, das hat man mir gesagt.«
Sie betrachtet meine Uniform, und ich sage: »Sie
wissen, dass ich beim LAPD arbeite, oder?« Sie nickt höflich, und ich öffne
Petrocellis Brieftasche mit ihrer Dienstmarke. Durch meine Perücke sehe ich
Sherry ähnlich genug, um sie zu überzeugen.
»Ich danke Ihnen, dass Sie mich abholen, Officer
Petrocelli«, sagt sie. So wohlerzogen und höflich. »Nennen Sie mich Sherry.
Der Wagen steht draußen«, sage ich, und wir gehen hinaus zum Parkplatz, wo der
Streifenwagen wartet. Ich öffne die Hintertür. »Sie können Ihre Sachen auf die
Rückbank legen«, sage ich, und das tut sie, sogar die Handtasche mit ihrem
Handy, das ich in einem Innenfach entdecke. Ich setze meine Dienstmütze ab und
verstaue sie ebenfalls auf dem Rücksitz, wobei ich heimlich das Handy an mich
nehme, ausschalte und wieder in die Handtasche stecke. Als ich mich wieder aufrichte,
gleitet sie bereits auf den Beifahrersitz. Perfekt.
Völlig unbesorgt, zögert sie nicht eine Sekunde,
während ich ein Gefühl der Genugtuung verspüre. Wie lange habe ich auf diesen
Augenblick gewartet! Doch ich darf nicht übermütig werden. Noch nicht. Mir
bleibt nur ein schmales Zeitfenster, also eile ich zur Fahrerseite. Je
schneller ich das Flughafengebiet mit all seinen Überwachungskameras und
Möchtegern-Cops hinter mir lasse, desto besser. Ich darf jetzt keinen Mist
bauen. Nicht so kurz vor dem Ziel, so verdammt dicht davor.
»Wie weit ist es bis zum Parker Center?«, fragt
sie und schließt ihren Sicherheitsgurt.
»Nicht weit.« Ich setze mich hinters Steuer und
werfe ihr ein warmes Lächeln zu. »Die Rushhour ist schon vorbei, es sollte
also nicht lange dauern. Höchstens eine halbe Stunde.«
»Gut.«
»Schon mal in L.A. gewesen?«, erkundige ich
mich. »Einmal, vor langer Zeit. Mit Anfang zwanzig. Ich habe für eine Weile in
Arizona, in Tucson, gelebt. Von dort aus bin ich ein paarmal nach San Diego
gefahren, und einmal hab ich's bis Los Angeles geschafft. Aber wie ich schon sagte:
Das ist lange her.«
Wunderbar. Dann würde sie sich nicht wirklich
orientieren können. Denn natürlich fahre ich nicht in Richtung Parker Center.
Das weiß sie nur noch nicht.
Wie lange waren sie in diesem sterilen
Vernehmungsraum
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