Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
Atem
verschlug.
Natürlich war sie nicht wirklich dort draußen
gewesen. Er hatte die Stelle, an der sie zwischen den bleichen Stämmen zweier
Sumpfzypressen gestanden hatte, überprüft. Auf dem Boden hatte er keine
Fußabdrücke gefunden, nicht die kleinste Spur, die darauf hindeutete, dass
tatsächlich jemand dort gestanden hatte, obwohl er beim Leben seiner Tochter
hätte schwören können, seine erste Frau dort gesehen zu haben. Ex-Frau. Zum
Zeitpunkt ihres Todes waren sie nicht mehr verheiratet gewesen.
Wenn sie wirklich bei diesem merkwürdigen Unfall
ums Leben gekommen war.
Bentz hatte immer vermutet, dass der »Unfall«
für Jennifer eine Art Flucht bedeutet hatte, obwohl ein Selbstmord eine
verdammt unschöne Weise war, auf eine schwierige Situation zu reagieren.
Er vermutete, dass sie sich schuldig gefühlt
hatte, nicht so sehr, weil sie ihn betrogen hatte - und zwar mehr als einmal
-, sondern weil er sie mit einem anderen Mann im Bett erwischte. Mit Bentz'
eigenem Halbbruder. Selbst jetzt noch, Jahre später, kam ihm der Zorn wieder
hoch, der ihn gepackt hatte, nicht allein wegen ihrer Untreue, sondern vielmehr
wegen der Tatsache, dass er dumm genug gewesen war, ihr noch einmal zu
vertrauen.
Mit dem Selbstmord hatte sie sich ihrer
Verantwortung entzogen, hatte es ihm überlassen, ihre Tochter großzuziehen.
Sie hatte sogar einen Abschiedsbrief geschrieben, in dem sie ihre Schuld
eingestand und ihr Handeln erklärte. Damals war sich Bentz sicher gewesen, dass
die Frau hinter dem Steuer des ramponierten Vans Jennifer gewesen war, und
hatte sie beerdigen lassen. Es hatte keine DNS-Tests gegeben, keine Blutproben.
Nur sein Wort, dass seine Frau den Wagen gefahren hatte.
Als er jetzt auf die Stelle am Rand des
Sumpflandes blickte, an der ihm Jennifer zum zweiten Mal unmittelbar erschienen
war, verspürte er ein leichtes Kribbeln im Nacken, als würde ihn jemand
beobachten. Rasch drehte er sich um, wobei er ein wenig ins Schwanken geriet,
und richtete die Augen auf die Fenster des Cottage. Nichts.
Niemand stand hinter den Fenstern und blickte
ihn an. Es stand auch niemand hinter der Magnolie und starrte zu ihm herüber.
Langsam atmete er aus. Ignorierte den Anflug von
Panik, der ihn packte.
Um Himmels willen, Bentz,
reiß dich zusammen! Drehte er jetzt völlig
durch? Er wusste, dass er Jennifer gesehen hatte, und zwar nicht nur vor ein
paar Tagen an ebendieser Stelle und im Krankenhaus, sondern auch andere Male.
Einmal hatte er auf dem Beifahrersitz von Olivias Ford Ranger gesessen und
darauf gewartet, dass sie aus der Reinigung zurückkam, als sie an ihm
vorbeigegangen war. Da war sie, Jennifer. Die Handtasche fest an die Brust gedrückt,
die Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, eilte sie über die Straße und
verschwand in einer Gasse. Er war ausgestiegen und hinter ihr hergehumpelt,
doch er hatte nur eine weiße Katze entdeckt, die sich durch einen verrotteten
Zaun zwängte, um an die überquellenden Mülltonnen hinter einer alten Garage zu
gelangen. Ein andermal - er war in seinem Jeep unterwegs gewesen - hatte er
geglaubt, sie durch einen Park schlendern zu sehen. Langsam ging sie um einen
Springbrunnen herum, das Sonnenlicht fing sich in ihrem Haar und ließ die
dunklen Strähnen in einem satten Rotbraun auflodern. Sie hatte sich umgedreht
und über die Schulter geblickt, und als sie ihn entdeckt hatte, war ein
selbstbewusstes Lächeln auf ihre Lippen getreten.
Sie hatte ihm zugezwinkert, als wollte sie ihn
herausfordern: Fang mich, wenn du kannst! Er hatte gebremst, in zweiter Reihe
gehalten und war ihr mit seinem Gehstock um den Springbrunnen herum gefolgt,
nur um festzustellen, dass sie wieder einmal verschwunden war.
Und dann war sie zwischen den Bäumen in der Nähe
seines Hauses aufgetaucht. Sie war ihm so echt vorgekommen! Er schnappte
offenbar über. Das war's. Halluzinierte von den Medikamenten, die man ihm
verschrieben hatte. Das Problem war nur, dass er die verdammten Schmerzmittel
vor über einem Monat fortgeworfen hatte ... Lange bevor er Jennifer vor seiner
Veranda hatte stehen sehen. Oder ihren Geist.
Ausgeschlossen. Er glaubte nicht an Geister und
auch nicht an Übersinnliches oder Paranormales. Er hatte ja schon
Schwierigkeiten gehabt zu schlucken, dass seine Frau damals Visionen von einem
Serienkiller gehabt hatte, der unter dem Namen »Der Erwählte« ganz New Orleans
in Angst und Schrecken versetzte.
Dennoch war er sich sicher, Jennifer gesehen zu
haben. Wirklich?
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