Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
zu Beginn der Jagd nach einem Killer
abzuarbeiten war. Wenn er an den Berg von Arbeit dachte, die vor ihm lag,
konnte er froh sein, wenn er seine Tochter vor ihrem dreißigsten Geburtstag
wiedersah.
13
Es war drückend, und der Geruch des Mississippi
wehte durch die nächtlichen Straßen von New Orleans. Montoya fuhr durch das
French Quarter und fühlte sich dabei wie das träge dahinfließende Wasser,
düster und rastlos. Sein Gespräch mit Bentz ging ihm durch den Kopf. Bentz war
ein verdammter Narr, dass er dem Geist seiner toten Ex-Frau nachjagte, wo er
jetzt hier sein könnte, mit seiner richtigen, lebendigen, leibhaftigen Ehefrau.
Es machte einfach keinen Sinn. Bentz, für gewöhnlich Pragmatiker, war
definitiv nicht ganz bei Sinnen. Ohne Zweifel war seine Nahtoderfahrung seinem
Verstand nicht gut bekommen. Zu dieser nächtlichen Stunde herrschte nicht viel
Verkehr, doch die Lichter der Stadt, nach dem Hurrikan wieder instand gesetzt,
leuchteten hell. Montoya bog in seine Einfahrt ein.
Er steckte die Autoschlüssel in die Tasche und
ging über den Gehsteig zu seinem doppelten Shotgun-Reihenhaus, zwei
zweigeschossige, schmale alte Häuser, die seine Frau Abby und er zu einem
großen zusammengelegt und gerade renoviert hatten, als Katrina mit höllischer
Wucht über die Stadt hereingebrochen war. Das Haus war völlig verwüstet
gewesen, wenngleich es nicht wie viele andere dem Erdboden gleichgemacht
wurde. Er hatte sein Haus wieder aufgebaut und bei der Renovierung versucht,
trotz Modernisierung so viel wie möglich von dem alten Charme zu erhalten.
Montoya sperrte die Haustür auf und trat ein. Zu
seiner Familie zählten nicht nur seine Frau Abby, sondern auch ein scheuer
grauer Stubentiger namens Ansei, der sich mit Vorliebe unter den Möbeln
versteckte, sowie Hershey, ein unbeschwerter schokoladenbrauner Labrador.
Ebendieser tänzelte jetzt um seine Füße herum und wedelte so heftig mit dem
Schwanz, dass er um ein Haar den Couchtisch leer gefegt hätte.
»He, mein Junge«, sagte Montoya und kraulte den
Labrador hinter den Ohren. »Willst du raus?« Mit einem tiefen Bellen raste
Hershey den langen Flur hinunter, der zu dem umzäunten Garten führte.
Montoya folgte dem Hund und rief Abby an. Sie
war Fotografin und hatte heute ein spätes Fotoshooting in ihrem Studio
außerhalb der Stadt.
Hershey, ein echtes Energiebündel, rannte hin
und her. »Ich hab's ja kapiert«, sagte Montoya zu ihm und schleuderte einen
gelben Tennisball in den Garten, während er darauf wartete, dass Abbys
Anrufbeantworter ansprang. Hershey sprintete los und spürte den Ball in der
Dunkelheit auf. Montoya hinterließ seiner Frau eine Nachricht. Der große
Labrador galoppierte zu ihm zurück und ließ den Ball schwanzwedelnd vor
Montoyas Füße fallen, der ihn aufhob und erneut fortschleuderte. Noch ein Wurf,
noch einer und noch einer, ungefähr eine halbe Stunde lang. Montoya dachte
über seinen Ex-Partner und dessen emotionales Himmelfahrtskommando nach.
Was hatte der Kerl bloß in L.A. zu suchen?
Bentz' erste Frau war wahrhaftig kein Engel gewesen. Außerdem war sie tot und
begraben. Zum Glück. Montoya hatte gehört, dass sie ein echtes Luder gewesen
sei und Bentz sich von ihr hatte scheiden lassen. Montoya hatte Jennifer nie
persönlich kennengelernt, doch Bentz hatte ihm selbst erzählt, dass sie ihn
wieder und wieder betrogen hatte, sogar mit seinem eigenen Halbbruder, der
noch dazu ein Priester war. »Schlampe«, murmelte er, warf den Ball in die Luft
und beobachtete, wie der Hund durch die Luft segelte. Ironischerweise hatte
sich Olivia einst von demselben Mann angezogen gefühlt, Vater James McLaren,
bevor sie Rick Bentz heiratete. Doch sie hatte sich besonnen, und sie waren
glücklich miteinander. Bis jetzt.
Seit Bentz aus diesem verdammten Koma erwacht
war, war er ein anderer Mann. Abwesend. Rastlos. Montoya hatte es seiner
Untätigkeit zugeschrieben, dass er nicht arbeiten konnte und nicht einmal die
Kraft hatte, ohne Stock zu gehen. Nun war er sich da nicht mehr so sicher.
Wenn ein Mann so unmittelbar mit dem Tod in Berührung kommt, tritt er
anschließend dem Leben womöglich mit einer neuen, düsteren inneren Einstellung
gegenüber. Genau so war es. Rick Bentz war keineswegs mit einer neugefundenen
Wertschätzung, einem wiederbelebten joie
de vivre ins Bewusstsein zurückgekehrt. Ganz im
Gegenteil. Nichts von diesem »Zum Licht gelangen«-Mist. Bentz war kein wiedergeborener
Christ. Stattdessen war er mit
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