Meridian - Flüsternde Seelen
lieber Abstand hielt.
Als einer der Männer sich umdrehte, erinnerte mich sein Profil im Schein des Feuers auf schmerzliche Weise an das von Kirian. Im ersten Moment hätte ich ihm beinahe etwas zugerufen, so sehr sehnte ich mich danach, im Arm gehalten und getröstet zu werden. Doch als er sich vorbeugte, war die Ähnlichkeit verflogen. Die schwarzgekleideten Menschen steckten die Köpfe zusammen, bis sich sieben Neuankömmlinge mit identischen Rucksäcken zu ihnen gesellten. Ob es sich um Missionare handelte wie die, die ins DG gekommen waren, um uns zu retten? Ich beobachtete, dass sie alle auf ihre Armbanduhren oder Telefone sahen. Dann verteilten sich die meisten von ihnen wie Zuckerwatte im Regen. Sie stoben regelrecht auseinander. Die Zurückgebliebenen blickten ihnen nach, rührten sich aber nicht. So, als ob sie auf etwas warteten.
Meine Füße wollten sich nicht bewegen. Ich sah eine Frau, der das lange schwarze Haar über die Schultern fiel und ihr Gesicht umwogte. Diesen Schmuck kannte ich doch. Ms. Asura? Als Priesterin verkleidet? Ich pirschte mich näher heran und dachte, dass es unmöglich Ms. Asura sein konnte, die da so eigenartig angezogen war und sich so seltsam verhielt und deren lange Fingernägel in der Nacht schimmerten wie Klauen. Das war völlig ausgeschlossen.
Im nächsten Moment wurde das andere Ende des Festplatzes von einer Explosion erschüttert. Ich sah, dass die Leute verdatterte Blicke wechselten, und fragte mich, ob es sich vielleicht um eine Art Militärschau handelte, bis ich die Schreie hörte. Ein zweiter Knall, diesmal näher, ließ den Erdboden so stark erbeben, dass ich das Gleichgewicht verlor.
Als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass die Frau Kirians Doppelgänger anlächelte. Dann verschwanden die beiden im Gewühl. Feuer brachen aus und züngelten aus den Buden. Eine panische Menschenmenge stürmte auf mich zu. Die Schreie wurden lauter, als eine dritte Explosion die Welt zum Erzittern brachte und Freude sich im Bruchteil einer Sekunde in Todesangst verwandelte.
Die Priester marschierten ins Gedränge hinein und steuerten geradewegs auf die lodernden Flammen, die Schmerzensschreie und das Chaos zu.
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Kapitel 33
D er erste Knall kam von der Bühne her. In der nächsten Sekunde folgten Massenflucht und Schreie.
»O Gott«, flüsterte ich, als die zweite Explosion die Luft zerriss.
»Was ist das?« Tens war sofort in Alarmbereitschaft, drehte sich um und stellte sich vor mich, um mich vor der Gefahr zu beschützen.
»Aternoc…« Ich hatte das Wort noch nicht ganz ausgesprochen, als plötzlich zahlreiche Seelen auf mich einstürmten. Während ich mich dem Fenster näherte, hielt ich mich an Tens fest. Bald stand ich am anderen Ende des Raums, dem Fenster gegenüber. Steckten die Aternocti dahinter? Terroristen? Eine Naturkatastrophe? Doch der Kriminalfall musste warten. Zuerst waren die Seelen an der Reihe.
Es war genauso schlimm wie bei dem Zugunglück in Colorado. Allein durch die schiere Menge der Seelen riskierte ich es, auf die andere Seite gezogen zu werden, wenn ich zu nah ans Fenster ging. Also konzentrierte ich mich auf die Brise und die wehenden Vorhänge und darauf, weit offen zu bleiben und gleichzeitig meine eigene Lebensenergie zu schützen. Ich wusste, dass Tens auf meinen Körper achten würde, so gut er konnte.
Menschen aller Altersgruppen passierten das Fenster. Die, die verwirrt waren, tröstete ich mit Worten und Geschichten. Einige warfen nur einen Blick auf das Fenster und verschwanden.
»Meridian!«, rief meine Tante mir drängend zu. »Du hast Prunella neunzehnhundertdreiundvierzig nicht nachgeschlagen. Du musst aber. Du musst ihre Vergangenheit enthüllen.«
Juliets Mutter flackerte nicht mehr, doch ihre Entstellung war geblieben. Ich glaubte, dass sie versuchte, mir zuzulächeln.
Da die Zeit für mich an diesem Fenster stillstand, brauchte ich nach dem Aufwachen einen Moment, um zu mir zu kommen.
»Sie ist wieder wach.« Rumis Bart kitzelte mich am Gesicht, als er sich vorbeugte und mir die Wange tätschelte. Sein Gesicht war voller Ruß, und er roch nach Feuer und verbrannter Haut. Kurz musste ich an den entgleisten Zug denken. Es dauerte eine Weile, bis ich mich gefasst hatte.
Beim Aufsetzen hustete ich.
Tens stützte mich sofort und hielt mich fest, bis der Hustenanfall vorbei war. Als er das Gesicht an meinen Hals legte, spürte ich zwei heiße Tränen auf der Haut.
»Tens?« Meine Kehle war staubtrocken.
»Ganz
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