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Meridian - Flüsternde Seelen

Meridian - Flüsternde Seelen

Titel: Meridian - Flüsternde Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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ich genauso neugierig wie alle anderen.
    Tens nickte. »Mütterlicherseits. Mein Großvater war Cherokee und meine Großmutter Shawnee. Ich glaube, meine Großmutter hat mich so genannt …«
    Gus nickte zustimmend. »Das also ist der Grund. Hier wirst du häufig auf Tecumsehs Namen stoßen. Schulen, Straßen, Denkmäler. Die beiden Brüder haben auch eine Stadt namens Prophetstown gegründet. Das ging gut, bis die Interessen von Tecumsehs Volk mit denen der jungen amerikanischen Regierung zusammenstießen. Über seinen Bruder Tenskawtawa ist viel weniger bekannt.«
    »Kein Wunder«, murmelte Tens.
    »Was sonst noch?«, hakte ich nach, weil ich das Thema weiterverfolgen wollte.
    »Er hieß bald überall nur noch ›der Prophet‹ und hatte ziemlich viele Anhänger. Seine Weltanschauung kam bei ihm an erster Stelle. Sich seinem Volk zuliebe anzupassen war für ihn undenkbar. Bei ihm ging es immer um alles oder nichts. Einige behaupten, er sei nicht ganz richtig im Kopf gewesen. Andere nehmen an, dass er religiöse Visionen hatte. Aber das schreiben Historiker gern, wenn sie anderer Auffassung sind als ihr Forschungsobjekt.«
    Alle am Tisch nickten. »Stimmt. Es ist so viel einfacher, jemanden als verrückt abzustempeln, als zu versuchen, seinen Standpunkt zu verstehen«, pflichtete Sidika ihm bei. »Darf ich deinen Nachnamen erfahren, mein Junge?« Gus deutete mit der Gabel.
    »Valdes.«
    »Mit Akzent oder ohne?«
    »Ohne«, erwiderte Tens.
    »Kubanisch?«
    »Ich glaube schon. Kann sein. Es ist nicht ganz sicher. Die Eltern meines Vaters stammen von dort. Ich weiß nicht viel über sie.«
    Offenbar musste ich Tens öfter zu Abendeinladungen mitnehmen. Wer hätte gedacht, dass er sich öffnen würde, wenn andere Menschen ihn ausfragten? Warum antwortete er mir nicht genauso bereitwillig?
    »Kennst du eigentlich die Geschichte deines Nachnamens?«
    »Nein. Gibt es da eine?«
    »Natürlich. Jeder Name hat eine Geschichte. So haben wir Forscher wenigstens etwas zum Forschen.« Gus schmunzelte.
    Die Anwesenden kicherten, und Rumi brachte einen Trinkspruch auf Wissenschaft und Forschung aus. »Wenn man sich geistig fit hält, wird man nicht alt«, fügte er hinzu.
    »Papperlapapp. Meine Knie und Knöchel sind da anderer Ansicht!«, widersprach Faye lächelnd. »Und jetzt erzähl uns etwas von der Geschichte des Namens Valdes, Gus.«
    Er schluckte und wischte sich ordentlich mit der Serviette den Mund ab, bevor er begann. »Es gab ein Waisenhaus, wo man die Kinder vor eine Drehtür legte und dann eine Glocke läutete. Dann kamen die Nonnen heraus, holten das Baby, versorgten es und ließen ihm eine Schulbildung zukommen, bis es erwachsen war. Gründer dieses Waisenhauses war der kubanische Bischof Valdés. Man nahm nur männliche Kinder auf, allerdings unter der Bedingung, dass Jungen, die in der Casa de Beneficia groß wurden, seinen Nachnamen tragen würden, jedoch ohne Akzent auf dem e.«
    »Warum?«, erkundigte ich mich.
    »Damit seine leiblichen Verwandten, die den Akzent im Namen hatten, sich von ihnen unterschieden. Diese Praxis wurde bis in die fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts beibehalten. Dann fing man an, Namen willkürlich aus dem Telefonbuch herauszusuchen. Längst nicht so romantisch.«
    »Also war dein Vater vielleicht ein Waisenkind«, meinte Sidika.
    Tens zuckte mit den Achseln. »Könnte möglich sein.«
    Ich wusste, dass er nicht absichtlich auswich.
    »Und woher kommst du ursprünglich, Meridian?« Anscheinend hatte Faye Tens’ Verlegenheit bemerkt und wollte die Aufmerksamkeit von ihm ablenken.
    »Portland.«
    Schließlich ging Rumi dazu über, die politische Lage in der Stadt und das Bildungssystem zu erörtern.
    Mir machte das Zuhören Spaß, denn ich bewunderte Menschen, die leidenschaftlich ihre Meinung vertraten, weil sie das Leben interessanter machten. Ich hatte festgestellt, dass auch ich eine eigene Auffassung zu den meisten Dingen entwickelte, wenn ich es mir nur gestattete, ich selbst zu sein.
    Rumi fragte Nelli nach ihren derzeitigen Fällen. Sie erstickte regelrecht in Berichten über vermisste Kinder, die im System untergegangen waren. Ihre Tätigkeit erinnerte im Moment eher an die eines Privatdetektivs als an Sozialarbeit. Ich wollte zuhören, konnte aber nicht viel verstehen, weil Faye mich ansprach. »Geht ihr zum Glühwürmchenfest am Wabash?«, erkundigte sie sich.
    Tens und ich wechselten einen verständnislosen Blick. »Was ist das?«
    Die anderen Gespräche erstarben,

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