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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Willkommensgruß im
üblichen Räuberzivil. Er trug Turnschuhe, Lodenhose, einen
gesteppten Parka und, zu Ehren der Gelegenheit, eine Yachtmütze
aus dem letzten Jahrhundert. Wenn das den Eindruck vermittelt,
daß er ein falscher Fünfziger war, so trügt dieser
Eindruck. Er war kultiviert, ein fähiger Wissenschaftler, ein
gemütlicher Familienmensch, und er gab nicht das Geringste auf
den äußeren Eindruck.
    »Kommt an Bord! Gila ist irgendwo da unten und schneidet
Käse, denke ich. Jenny ist unten im Salon und spielt irgendein
lächerliches Brettspiel mit Chuck. Es fehlt nur noch Michael,
und dann geht’s los!«
    Wir kannten Michael gut. Er war ein alter Freund, Archäologe,
Gatte meiner Natalya. Ohne die beiden hätte es keinen Dr.
Fateya, kein Erzurum, keinen Impfstoff gegeben. Natya war eingeladen
worden, hatte jedoch Arbeit vorgeschützt. Hausarbeit, dachte
ich, denn am Institut gab es nur wenig zu tun. Chuck war, wie wir
entdeckten, ein älterer Bühnendirektor an der Staatsoper,
natürlich von Amerika, auf Besuch.
    Magnus stellte uns der Runde vor und verfrachtete uns daraufhin
mit Drinks und Helga Chavas Freundin ins Ruderhaus. Sie tat mir leid.
Selbst in jenen Tagen war das Dasein als homosexuelle Gattin viel
weniger bedeutend als eine Hetero-Frau oder als Ehemann. Annie ging
nach unten, sie suchte Chuck und Jenny. Auf dem Niedergang begegnete
ihr Gila, die Platten mit geräuchertem Käse und
Knäckebrot heraufbrachte. Dann traf Michael ein, und wir legten
ab.
    Knolle war der kleinste der Seen. Innerhalb einer halben Stunde
waren wir durch den Felskanal am anderen Ende hindurch und befanden
uns auf dem großen Wasser. Der Tag war vollkommen. Das wenige
an Wind, was es gab, kam von achtern, und der Katamaran der
Asgeirsons glitt praktisch völlig lautlos und so glatt wie auf
Seide dahin. Es war ein anmutiges Schiff aus traditionellem
weißen Fiberglas, und die Ausstattung war aus importierter
tasmanischer Gummitanne: ein getäfelter Decksalon floß
elegant in das Allwetter-Ruderhaus hinüber, und die nach hinten
geneigten Masten, woran farbenfrohe Clubwimpel herabhingen, verliehen
ihr eine stilvolle, altmodische Aura. Wir fuhren zur Mitte des
Marandelsees, und die baumgesäumten Ufer zu beiden Seiten waren
lediglich ferne, blaugrüne, verwischte Flecke. Die Berge vor uns
spiegelten sich überraschend klar und deutlich im Wasser. Eine
Zeit lang waren wir die einzigen, die sich bewegten, die einzigen
Eindringlinge aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert in dem ganzen
weiten Panorama. Dann kam eine Schar kleiner Boote mit großen,
weißen Segeln um eine Halbinsel, die anmutig in der Brise auf-
und niedertauchten.
    Als Gila nach unten ging, um das Essen zu servieren, folgte ich
ihr. Frauenarbeit. Selbst bei weiterem Fortschreiten des
Bevölkerungsrückgangs würden Männer und Frauen
noch immer bis zum bitteren Ende ihre Rollen spielen. Rollen waren
schön. Sie verliehen dem Gestaltlosen Gestalt, warfen Schatten
für Helga Chavas Freundin, gaben Identität dem
Identitätslosen.
    Wie Dr. Marton versprochen hatte, war das Essen ausgezeichnet. Wir
aßen oben im Decksalon, wobei wir Chuck, die Mädchen und
das Brettspiel gewaltsam an die Luft setzten, und die Leute bedienten
sich selbst. Das Gespräch war sprunghaft. Ich glaube, wir waren
von der Schönheit benommen, sowie, wenn schon nicht von der
Wärme, so doch vom Fehlen von Kälte.
    In einem Land mit einem so langen Winter wie bei uns klammern wir
uns an die gedankliche Vorstellung des Sommers. Also saßen wir
in unseren Wollsachen und Parkas draußen auf dem Vordeck der
Asgeirsons und aßen das wunderbare Essen der Asgeirsons und
tranken den wunderbaren Wein der Asgeirsons und sahen zu, wie der See
vorüberzog.
    Und hörten, wie in meinem Fall, auf, an Sergeant Milhaus, Dr.
Marton und die Ministerin zu denken. Ich hoffe, den anderen ging es
ähnlich, wenn sie es nötig hatten.
    Jemand, unsere junge französische Schriftstellerin war es
wohl, erwähnte die kommenden Wahlen. Helga Chavas Freundin
sagte, daß Helga Chavas zur Wahl antreten und gewiß
erfolgreich sein würde und wurde für ihre Bemühungen
mit einem funkelnden Blick bedacht. Da wir kein kluges Köpfchen
dabei hatten, steuerte Chuck etwas bei: er hatte einen charmanten
Akzent und erzählte uns, daß die Politik in seinem Land
selbst nach vierzig Jahren des Bevölkerungsrückgangs noch
immer enttäuschend eintönig sei. Der US-Kongreß war
zu siebzig Prozent weiblich, als einziges wirklich

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