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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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gekommen, weil ich für eine Begegnung mit Ihnen nicht
bereit war, Dr. Harriet.« Dank ihres russischen Akzents wirkte
sie an diesem Morgen sehr ernst. »Ich hatte mich noch nicht
entschieden.«
    »Liebe Natya – sehen Sie nicht so niedergeschlagen
drein. Worum geht’s denn?«
    »Es geht um Ihre Forschung. Es geht um mich.« Ihre
Stimme brach. »Haben Sie es nicht erraten?«
    »Erraten?« Jetzt erriet ich es. Bestürzt setzte ich
mich zurück. »O Natalya – warum?«
    Sie vollführte winzige Gesten der Verlegenheit, stand mit
schmerzlicher Festigkeit vor mir, eine alte Frau.
    »Es ist kein Verrat. Mein Fehler besteht darin, es Ihnen
nicht gesagt zu haben. Aber jetzt haben Sie die Zugriffscodes
verändert, und ich sehe die Ordner auf Ihrem Schreibtisch und
weiß, Sie haben entdeckt, daß man Ihre Arbeit gestohlen
hat.«
    »Unsere Arbeit, Natya… Also haben Sie das
Wochenende damit verbracht, sich zu überlegen, was Sie tun
würden. Ich weiß zu würdigen, daß Sie
hergekommen sind, es mir zu sagen.«
    »Sie haben mich nach dem Warum gefragt. Es…«
    »Tut mir leid.« Ich hielt die Hand hoch, um sie am
Weiterreden zu hindern. »Das hätte ich nicht tun sollen.
Sie sind eine gute Freundin, Natya. Eine liebe Freundin. Ohne Sie
hätte es keine Behandlung gegeben, in keinem Fall. Ich brauche
Ihre Gründe nicht zu wissen.«
    »Es ist kein Verrat, Dr. Harriet. Hoffentlich denken Sie das
nicht. Wir und die Ministerin, wir stehen auf derselben Seite.
Wir…«
    »Mir gefällt das Gerede über Seiten nicht.«
Ich verstand nicht, worauf sie hinauswollte. Und ich müßte
eine vollständige Beichte nicht aussitzen – ich war bereits
genügend ausgenutzt worden. »Auf jeden Fall ist kein
großer Schaden entstanden. Unikhem ist noch immer weit von
einem Impfstoff entfernt. Warum belassen wir es nicht
dabei?«
    »Unikhem?« Sie legte die Hände vors Gesicht.
»Unikhem ist nicht hierin verwickelt. Niemals.«
    »Aber natürlich.« Vergebung war kein Thema, aber
ich wollte nicht, daß sie mich anlog. »Ich habe gestern
nachmittag mit Professor Asgeirson gesprochen, und er hat mir
gesagt…«
    »Niemals. Für was für eine Verräterin halten
Sie mich eigentlich?« Sie gestikulierte wild, befreit durch ihre
Entrüstung. »Ich habe der Ministerin berichtet. Niemals
Unikhem. Ich habe die Ministerin über den Fortschritt unserer
Arbeit auf dem laufenden gehalten. Dr. Marton sagt, das wird helfen,
wenn es um Zuschüsse geht.«
    »Marton hat das gesagt?«
    »Er hat gesagt…« Sie zögerte, spreizte die
Ellbogen zu einer sehr russischen Entschuldigung. »Er hat
gesagt, Sie sind eine brillante Frau, aber eine sehr unangenehme
Frau. Er hat gesagt, er wolle Mißverständnisse zwischen
Ihnen und der Ministerin vermeiden.«
    Eine unangenehme Frau… Eine plausible
Äußerung, dachte ich, von meinem schwierigen Mann. Und
mein vorheriger Arbeitgeber hatte bestimmt keine glühende
Empfehlung gegeben, was meinen Takt betraf. Das konnte ich mir nicht
vorstellen.
    »Also haben Sie die Ministerin von Anfang an mit Einzelheiten
unseres Fortschritts versorgt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Dr. Marton ist vor etwa einem
Jahr an mich herangetreten. Er hat gesagt, er würde eine
Störung in der Kommunikation spüren. Die Ministerin
befürchtete, Sie seien, ihren Worten zufolge, ›nicht ganz
aufrichtig‹.«
    Ich dachte etwa ein Jahr zurück. Nicht ganz aufrichtig?
Damals war ich aus Erzurum zurückgekehrt, und ich hatte ihr
sicherlich davon berichtet.
    »Also haben Sie damals angefangen.« Ich erinnerte mich
an den Ordner. »Und seitdem haben Sie sie mit den
Hintergründen versorgt.«
    »Ich habe geglaubt, das Richtige zu tun.« Natya funkelte
die Wand oberhalb meines Kopfes an. »Sie ist die
Ministerin.«
    Eine typisch russische Haltung. Ich hatte wegen eines Motivs
überlegt und das hier erhalten. Selbst so viele Jahre nach der
Flucht eine russische Haltung von einer russischen Dame mit
russischen Ellbogen. Es hätte den Zuschüssen fürs
Institut prächtig geholfen.
    Ich gab mir nicht die Mühe zu fragen, weswegen sie mich in
das Geheimnis nicht eingeweiht hatte. Ich war eine unangenehme Frau
mit unangenehmen Ellbogen – ich wäre stinksauer
gewesen.
    »Aber Sie halten es nicht mehr für das Rechte?«
    »Ja und nein. Wissenschaftliche Freiheit ist gleichfalls
wichtig. Wie zugesagt, habe ich mit Dr. Marton gesprochen. Ich habe
ihn angefleht. Aber die Ministerin weigert sich noch immer, Ihnen die
Veröffentlichung zu gestatten, und mir gefallen ihre

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