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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Zaum
halten zu können.«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Aber haben Sie das nicht gemeint?« Der Ministerin meine
Tochter als Geisel zu verschaffen. Hatte er das nicht gemeint?
    Er brachte den Stuhl zum Stillstand und versuchte es mit
kitschigen Gründen. »Die Welt da draußen ist
gewalttätig. Junge Mädchen sind sehr verletzlich.«
    »Sie hören sich jede Minute mehr wie Sergeant Milhaus
an.«
    Ich stand wieder auf den Beinen. Gerade hatte ich einen jener
Gedankensprünge erlebt, nach denen das Unmögliche jäh
absurd einfach wird. Anna ins Kloster zu schaffen war absurd einfach.
Das Schicksal, vermutlich ein unfreundliches, hatte seit Tagen
versucht, mir zu helfen. Ich war einfach zu beschäftigt gewesen,
als daß es mir aufgefallen wäre.
    »Ich benötige Ihre Schutzhaft nicht, Marton. Anna
benötigt Ihre Schutzhaft nicht. Und ich warne Sie, Marton, wenn
Sie versuchen, die Sache mit Nachdruck voranzutreiben, sorgen Sie
besser für ausgesprochen gute legale Absicherung. Wir sind keine
dummen Bauern, Mark und ich. Und ich sage Ihnen noch etwas – es
gibt keine dummen Bauern, die sind mit der Jahrtausendwende
verschwunden. Als nächstes verschwinden dumme staatliche
Angestellte. Guten Tag!«
    Ich strebte zur Tür. Er wartete, bis ich sie erreicht hatte.
Oswald Marton war ein Mann, der Schlachten zu verlieren wußte,
jedoch Optionen auf den Krieg zurückbehielt. Er wartete, bis ich
die Tür erreicht und sie geöffnet hatte.
    »Viel Glück mit Natalya Volkov«, sagte er so leise,
daß ich die Ohren spitzen mußte, um ihn zu verstehen
– was ich, dreimal verfluchter Teufel, auch tat. »Wenn sie
behauptet, sie habe uns das ganze Material gegeben, so fragen Sie sie
doch, wie es uns hätte erreichen sollen. Wenn per Telefon, dann
über welche Nummer. Unsere Nummer steht nicht im Verzeichnis.
Versuchen Sie also die Nummer, die Sie von ihr erhalten.«
    Ich schloß die Tür. Ich wußte nicht, worauf er
hinauswollte, aber einer Sache war ich mir sicher – seine
Absicht war nicht edel. Sie war nicht freundlich. Es war die Absicht
eines Feindes.
    Ein Bildschirm auf Branka Golbcheks Schreibtisch zeigte die
Debatte im Parlament. Die Ministerin war aufgestanden, und Branka sah
zu und machte sich Notizen. Die Ministerin war eine gutaussehende
Frau, eine Händlerin von Natur aus, stets gut vorbereitet,
erfolgreich in dem, was, worauf Mark hingewiesen hatte, noch immer
hartnäckig eine Männerwelt war. In den wenigen Sekunden, da
ich sie sah, während ich an Brankas Schreibtisch
vorüberging, überlegte ich, welches Ereignis sie zu meiner
Feindin gemacht hatte. Denn sie war Martons Göttin. Wie
jesuitisch seine Anbetung jedoch auch sein mochte, wie
spitzzüngig und vernünftig die Beziehung zu seiner
Göttin jedoch auch sein mochte, sie war auf jeden Fall der Born
all seiner Rechtschaffenheit. Wenn er mein Feind war, dann war sie es
auch.
    Ich nahm meine Jacke und fuhr mit dem Aufzug nach unten. Das
hallende Foyer erinnerte mich an meinen letzten Aufenthalt dort sowie
an meinen Anruf bei Danno. Es sorgte dafür, daß ich
innehielt, und verscheuchte die Gedanken an Marton, Natya und das
Institut aus meinem Kopf; das traurige, vertraute Rätsel von
Danno und mir, zwei Menschen, welche die Eltern gemeinsam hatten, das
Zuhause, das Fernsehen, Weihnachten, die Schule, sechzehn Jahre
gemeinsamen Heranwachsens, und jenen schrecklichen Kampf mit Brak.
Das alles hatten sie gemeinsam, und dennoch blieb die Identität,
die im Kopf meines Bruders verborgen lag, in seinem Herzen,
unverstanden von der Identität, die in meinem Kopf und Herzen
verborgen lag. So unverstanden, daß er schließlich
monatelang aus meinen Gedanken herausfiel, kein Teil meiner
Alltagssorgen war. Er existierte einfach nicht mehr, bis er
von einer Telefonzelle und schlurfenden Schritten heraufbeschworen
worden war. Ich blieb stehen und starrte vor mich hin. Wie konnte
dies geschehen?
    Leute rempelten mich an und murrten. Ich versperrte ausgetretene
Lebenspfade über den weiten Marmorfußboden. Ich eilte
hinaus, keuchte wegen der Kälte und winkte ein blaukariertes
Taxi heran. Es war vier Uhr, und es dunkelte allmählich, und ich
mußte ins Institut zurück, ehe ich nach Hause ging. Ich
saß sehr gerade auf der abgewetzten Polsterung.
    Papas Beerdigung hatte die Verwesung in Gang gesetzt. Und Mama.
Natürlich Mama. Er dachte, ich stünde auf Mamas Seite.
Vielleicht stimmte das auch. Der, der nicht gegen mich ist, ist
für mich. Aber danach hatten wir gute Zeiten

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