Messewalzer
hatte: Geschäftsführer, Braumeister, Sekretariat, Einkauf, Verkauf, Buchhaltung. Die Büros selbst waren auffällig schlicht. Ein oder zwei Schreibtische, billige Bürostühle aus der Vorwendezeit und Regale mit verstaubten Akten. Kroll vermutete, dass die einzigen Wertgegenstände, wie Computer oder Telefonanlage, längst Beute der Einbrecher oder des Insolvenzverwalters geworden waren.
Kroll ging in den Toilettenraum. Er legte den Lichtschalter um. Nichts regte sich, der Strom war abgestellt. Eines war jedoch ungewöhnlich. Der Deckel des Klos war hochgeklappt und auf der Brille befand sich kein Staub. Jemand musste die Toilette vor Kurzem noch benutzt haben. Kroll betätigte die Spülung. Sie funktionierte, machte allerdings einen derartigen Lärm, dass er seinen Entschluss schon bereute.
Er ging weiter und betrat das Büro, neben dem das Schild mit der Aufschrift ›Personalabteilung‹ hing. Sofort fiel ihm die Luftmatratze auf, die in der Mitte des Raumes vor dem Schreibtisch lag. Daneben stand eine Sporttasche. Kroll betrat das Büro, um sich genauer umzusehen. Die Tasche hatte die Aufschrift: Cage Fight Worldchampions. Darüber im Regal waren T-Shirts zum Trocknen aufgehängt, die am Kragen mit einer Akte befestigt waren. Der Besitzer hatte sie offensichtlich in der Toilette notdürftig gewaschen. Die Shirts hatten die Aufschriften Türsteher, Fight Club, Martial Arts.
Kroll hielt für einen Moment die Luft an. Er war sich jetzt sicher, dass er den Aufenthaltsort von Goran gefunden hatte. Er sah zur Tür. Niemand schien da zu sein. Er beschloss, die Brauerei so schnell wie möglich zu verlassen und Verstärkung zu holen. Die Situation, in der er sich jetzt befand, war mit der vor wenigen Minuten nicht vergleichbar: Vorher war alles Vermutung, alles Recherche gewesen, jetzt hatte er Gewissheit. Goran wohnte hier. Seine Sachen waren noch hier. Er würde definitiv bald zurückkommen, wenn er nicht in dieser Sekunde schon in der Brauerei war. Jetzt war die Grenze von Krolls Einzelgängerdasein definitiv überschritten. Er ging die Treppe wieder hinunter. Wiggins fuhr mit gemischten Gefühlen zum Innenministerium nach Dresden. Kroll hatte sich seit seinem Abgang vorhin nicht mehr gemeldet. Das war eigentlich gar nicht seine Art. Sie hielten sich immer gegenseitig auf dem Laufenden, und dass Kroll jetzt seit über einer Stunde nichts mehr von sich hatte hören lassen, war mehr als ungewöhnlich. Aber vielleicht hatte das alles auch nichts zu bedeuten. Er beruhigte sich damit, dass Kroll schließlich nicht der einzige Polizist in Leipzig war und dass im Notfall genug Kollegen zu Hilfe eilen konnten. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl. Er kam sich vor wie ein Kind, das nicht auf sein Geschwisterchen aufpassen konnte. Aber der Termin beim Innenminister konnte nicht warten. Und die Fahndung gehörte schließlich nicht zu seinen Aufgaben. Doch was sollte dieser Termin in Dresden? Was wollte der Minister von ihm? Warum diese Heimlichtuerei, hätte man das nicht telefonisch klären können? Warum musste er unbedingt nach Dresden fahren, warum ausgerechnet jetzt?
Wiggins zeigte den Sicherheitsbeamten am Eingang seine Vorladung. Eine freundliche Dame am Empfang bat ihn, zu warten. Der Minister sei bereits informiert. Man würde ihn abholen.
Er setzte sich in einen breiten, schwarzen Ledersessel und schaute sich die monumentalen Ölgemälde im Foyer an. Wie immer, wenn er mit Kunst konfrontiert wurde, musste er auch diesmal feststellen, dass seine Stärken offensichtlich auf anderen Gebieten lagen.
Nach wenigen Minuten kam eine vornehm gekleidete Dame auf ihn zu. Wiggins schätzte sie auf Mitte 50. Sie stellte sich als persönliche Referentin des Ministers vor und bat ihn freundlich, sie zu begleiten. Sie fuhren mit dem Aufzug in den dritten Stock, liefen dann bis ans Ende des langen Flurs. Als die Referentin die Tür des Vorzimmers öffnete, stellte Wiggins zu seiner Überraschung fest, dass die Verbindungstür zum Dienstzimmer des Ministers nicht geschlossen war.
Minister Hassemer stand auf und kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. »Herr Hauptkommissar Wiggins. Schön, dass Sie da sind.« Er führte Wiggins in sein Büro und bat ihn, an einem schweren Eichentisch Platz zu nehmen, an dem acht Lederstühle standen.
Wiggins brachte nicht mehr als ein »Guten Tag, Herr Minister« heraus.
Dr. Hassemer gab sich offensichtlich Mühe, das Autoritätsgefälle herunterzuspielen. »Machen wir es nicht so förmlich.«
Weitere Kostenlose Bücher