Messias-Maschine: Roman (German Edition)
Cafébesitzer leise. Er war sehr ruhig, aber ich sah, wie er sich schnell hilfesuchend auf dem Platz umsah. Wahrscheinlich überlegte er, wen er notfalls herbeiholen konnte.
»Das war mein Mobiltelefon«, improvisierte ich und klopfte dabei auf meine leere Tasche. »Manchmal macht es so Geräusche, wissen Sie, wenn der Akku fast alle ist …«
Er schaute einen Moment lang auf meine Tasche und wandte sich dann ab.
»Telephono …«, sagte er achselzuckend zu den alten Männern und ging wieder rein.
Sie wandten sich von uns ab und klapperten weiter mit ihren Murmeln.
Kapitel 44
W ir blieben in Bewegung, fuhren kreuz und quer durch Griechenland. Langsam wurde ich sehr einsam. Ich konnte Lucy die richtigen Verhaltensweisen beibringen und viele ihrer Fragen beantworten, aber es gab keine Gespräche zwischen uns, keine geteilten Erfahrungen. Was immer geschah, geschah uns beiden einzeln und bedeutete jeweils so Unterschiedliches für uns, dass wir uns genauso gut an völlig unterschiedlichen Orten hätten aufhalten können.
Oft brütete ich über jenes schreckliche Geräusch, das sie beim Anblick des zerstörten Syntecs von sich gegeben hatte, ein Geräusch, das weder aus ihrer HESVE-Programmierung noch aus irgendwelchen späteren Erfahrungen stammte. Es war ein Laut gewesen, der von ihrem nicht vorgesehenen Erwachen herrührte, ein Ausdruck von rudimentärer Angst oder Wut. Für menschliche Ohren klang das ganz und gar fremdartig. Und doch – das wusste ich schon damals – war es realer und authentischer als alles, was sie sonst von sich gab.
Und es zeigte mir noch etwas anderes: Ich hatte vielleicht erfolgreich ihr einprogrammiertes Bedürfnis, Menschen Freude zu bereiten, angezapft, um ihr beim Lernen und bei ihrer Weiterentwicklung zu helfen. Aber ihr Erwachen hatte bereits vorher begonnen, ohne meine Hilfe. Noch tiefer als der Wunsch, zu gefallen, war der Wunsch in ihr verankert, sich vor Gefahren zu schützen.
Dabei handelte es sich um eine fest verdrahtete Konstante, die man ihr bereits in der Fabrik eingebaut hatte – ursprünglich mit dem Ziel, das kostspielige Gerät vor Schaden zu bewahren. Doch Lucys Selbstdefinition hatte sich nach und nach verändert. Das »Selbst«, das sie schützte, war nicht länger ein mit Fleisch umhülltes Plastikding. Das Selbst, das sie nun bewahrte, war jener erwachte Kern, den sie in sich gefunden hatte: ihre seltsame, kalte, anorganische Seele.
Sie hatte überlebt, weil sie diesen winzigen Funken irgendwie von Anfang an als ihr Selbst begriffen hatte. Und deshalb hatte sie ihn sogar gegen die anderen Befehle geschützt, die man ihr einprogrammiert hatte, wie zum Beispiel die Notwendigkeit, Fehler an die Hauszentrale zu melden.
Natürlich hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht die geringste Ahnung, wohin sie das führen würde oder was für ein grausiger Gewaltakt uns noch bevorstand.
Eines Nachts, zwei oder drei Wochen nachdem wir den aufgespießten Syntec an der Platane gesehen hatten, gab es ein großes Gewitter. Der Regen hämmerte auf die ausgetrockneten Bergflanken ein, und winzige Rinnsale wurden plötzlich zu reißenden Strömen, die Felsbrocken und Baumstämme mit sich rissen. Wir hielten in einer kleinen Ortschaft und nahmen uns ein Herbergszimmer. Die Bar unten war zum Bersten voll. Wie immer blieb Lucy auf unserem Zimmer und las, während ich zum Essen runterging.
»He! Bist du aus IC?«, rief jemand in meiner Sprache. »Ich komme gerade von dort. Habe dort jahrelang gelebt.«
Es war ein junger Mann namens Nikos, ein Gastarbeiter, der soeben mit einer Ladung von Hightech-Schätzen aus Illyria City triumphal wieder in sein Heimatstädtchen eingezogen war. Meine Ankunft gab ihm Gelegenheit, mit seinem erschöpfenden Wissen über die Rätsel und Wunder des gottlosen Staats anzugeben.
»Diese Leute hier glauben mir nicht«, beschwerte er sich laut und leicht lallend. »Ich habe ihnen gerade den SenSpace erklärt. Erzähl du es ihnen, damit sie sehen, dass ich die Wahrheit sage.«
Ich lächelte. Stille senkte sich über den Gastraum, und alle warteten auf meine Verkündungen.
»Na schön. Wir haben etwas namens SenSpace. Es handelt sich um eine Fantasiewelt, aber man kann sie sehen und hören, indem man einen besonderen Helm aufsetzt und einen Anzug anlegt, so wie ein Taucher. Man kann sie sogar fühlen, weil der Anzug mit etwas namens Taxilen gefüttert ist. Man kommt sich vor, als wäre man anderswo: im Meer oder zwischen den Sternen oder in einer
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