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Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Beckett
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für ihre Brust braucht. Wenn ich nicht so tun würde, als wäre ich eine Syntec, dann könnte ich es mir nicht leisten, meinen Sohn und meine Mutter zu versorgen. Denn die Männer bevorzugen inzwischen Maschinen. Eine menschliche Hure kann nicht einmal halb so viel verlangen.‹
    Daraufhin nahm Giorghios sie in seine Arme. ›Ach Clara‹, sagte er, ›ich habe dich von dem Augenblick an geliebt, in dem ich dich zum ersten Mal sah. Hätte ich nur gewusst, dass du wahrhaftig am Leben bist!‹
    ›Ich habe dich auch geliebt!‹, gab Clara zurück, und dann starb sie.«
    Nikos schaute ins Publikum.
    »Danach«, erzählte er weiter, »lieferte Giorghios sich der Polizei aus, kam vor Gericht und wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Doch bevor man ihn einsperren konnte, nahm er sich das Leben, weil er meinte, Gottes Gnade ohnehin schon verwirkt zu haben, und weil er seine Scham und seinen Kummer nicht mehr ertragen konnte.«

    Nach langem Schweigen sagte die Wirtin schließlich gedämpft: »Aber lieber Gott, wie können sie es sich nur anmaßen, so etwas zu erschaffen? Wir sind zerbrechliche Geschöpfe, wir Menschen. Wir sind leicht zu verwirren. Gott weiß, dass es schon genug Missverständnisse über die Liebe zwischen Männern und Frauen gibt. Warum müssen wir noch mehr Verwirrung stiften, indem wir Wesen erschaffen, die aussehen wie Menschen, aber keine sind?«
    Nikos zuckte mit den Schultern. »In der Stadt sehen sie die Dinge anders. Für sie ist alles erlaubt, was Spaß macht, alles ist akzeptabel. Ist es nicht so, kyrios? «
    Nikos wandte mir den vom Raki vernebelten Blick zu und forderte mich dazu heraus, den üppigen Ausgeburten seiner Fantasie etwas entgegenzusetzen. Auch die anderen Anwesenden drehten sich zu mir um.
    »Ja«, brummte ich. »Ja, da hast du wohl recht.«

    Ich verabschiedete mich und ging nach oben.
    Lucy saß wie immer am Fenster und las. Sie hatte die Bücher, die ich für sie mitgenommen hatte, schon lange durch und las nun eines, das sie bei einem unserer Aufenthalte gefunden hatte. Es handelte sich um eine englischsprachige Bibel. Wahrscheinlich war sie von irgendeinem Reisenden aus England oder Nordamerika hinterlassen worden, vielleicht von einem der protestantischen Missionare, die in dieser Gegend manchmal heimlich arbeiteten.
    Lucy blickte auf, als ich reinkam. Sie war nackt. Sofort wollte sie aufstehen, um sich zu mir ins Bett zu legen und mir ihre sexuellen Dienste zu erweisen, doch ich schüttelte den Kopf und machte eine wegwerfende Handbewegung, eine Geste der Abscheu. Sie setzte sich wieder und las weiter.
    Das Gewitter zog über die Berge davon. Der Regen ließ nach und hörte dann ganz auf. Die Wolken brachen auf, und der freie Himmel dahinter wirkte wie ein Fenster zu den Sternen und zum Mond.

Kapitel 46
    L ucy blätterte um. Alle zweieinhalb Minuten blätterte Lucy um. In den Zwischenzeiten herrschte nächtliche Stille, mit Ausnahme des Plätscherns von Wasser.
    L ucys regloser Schattenriss hob sich vom mondhellen Himmel ab. Doch ihr Blick huschte über einen Text, den man bei diesem Licht mit menschlichen Augen nicht mal hätte lesen können.
    Was sollte ich machen? Inzwischen war mir klar, dass ich sie nicht auf Dauer als Menschen ausgeben konnte. Wenn sie nicht entlarvt werden sollte, würden wir ständig in Bewegung bleiben müssen.
    Aber wie sollte ich dann eine Arbeit finden, wenn mein Geld erst mal aufgebraucht war? Ich war davon ausgegangen, dass ich mir schon bald als Dolmetscher meinen Lebensunterhalt verdienen könnte, aber wer würde einen Dolmetscher anstellen, der ständig umherreiste?
    Die HESVE blätterte erneut um.
    »Um Himmels willen, gib doch mal Ruhe, Lucy!«, brummte ich. »Jede Nacht dasselbe blöde Geräusch! Wie soll ich schlafen, wenn du so einen Höllenlärm machst?«
    Der Schattenriss am Fenster wandte den Kopf in meine Richtung.
    »Höllenlärm?«, fragte Lucy.
    »Komm hier rüber«, wies ich sie genervt an, während ich mich abrupt aufsetzte und das flackernde elektrische Licht einschaltete. »Was liest du da überhaupt?«
    Lucy erhob sich gehorsam und brachte mir das Buch. Sie musterte mein Gesicht, studierte meinen Ärger. Wahrscheinlich sendete sie dabei die ganze Zeit Warnmeldungen an die Hauszentrale.
    Ich riss ihr das Buch aus der Hand und warf einen wütenden Blick auf die altertümlichen Worte:
    »Ärgert dich deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von dir. Es ist dir besser, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht

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