Messias-Maschine: Roman (German Edition)
gurgelten und plätscherten zahlreiche Rinnsale. Schlammiges Wasser lief in Bächen über den Weg. Ich weiß noch, dass ich eine Eidechse zwischen den Steinen entdeckte. Wegen der Kälte flitzte sie nicht davon, wie sie es normalerweise getan hätte. Als ich mich näherte, entfernte sie sich stattdessen mit langsamen Bewegungen, Bein für Bein.
Am Rande des Dorfes traf ich auf einen jungen Mann mit einem langen, nassen Schnurrbart.
»Entschuldigung«, murmelte ich, »Entschuldigung …«
Ich streckte die Hand aus und berührte ihn am Ärmel. Er zog seinen Arm verärgert weg, verschwand hastig in einem Haus und knallte die Tür hinter sich zu.
Über mir zerrissen die Wolken in graue und weiße Fetzen, und hier und da lugte die Sonne hindurch, erhellte mal einen Baum, mal ein verfallenes Haus … Der Berghang, den ich soeben heruntergestiegen war, war nun von hellem gelben Licht überflutet.
Ich kam an geschlossenen Türen und Fensterläden vorbei. Ein magerer Hund trottete über die Straße. Er blieb stehen, um mich zu beschnuppern, als würde er überlegen, ob ich wohl noch essbares Fleisch an den Knochen hätte.
In der Dorfmitte befand sich ein Platz mit einem einzigen Geschäft und einer Polizeiwache, die beide geschlossen und verrammelt waren. Außerdem gab es noch eine Ruine und ein paar verlassen aussehende Häuser. Die lange, weiße Klostermauer begrenzte den Platz zu einer Seite. Darin waren Gitterfenster mit blassblauem Mauerwerk drum herum eingelassen, sowie eine einzige, große verzierte Tür.
Ich zögerte. Wo war ich? In Bosnien? Montenegro? Dalmatien? Istrien? Venetien? Was für eine Schrift stand dort über der Tür der Polizeiwache? Welche Sprache sprach man hier? Ich wankte, torkelte und fiel fast hin.
Und welchem Glauben hing man hier an? (Denn mir war aufgefallen, dass die Geografie der bestimmende Faktor für die Religionszugehörigkeit war.)
Welchen Gott betete man an? Sollte ich im Namen Allahs, Christus’ oder Bogomils um Almosen bitten, oder in wessen? Vielleicht im Namen irgendeines slawischen Gottes des Wohlstands? In meinem fiebrigen Kopf kam mir diese Frage ebenso unlösbar wie schrecklich wichtig vor. Wieder verspürte ich diesen dumpfen, hartnäckigen Schmerz hinter den Augen.
Welcher Gott? Durfte ich nicht wenigstens wissen, welcher Gott hier verehrt wurde?
Schließlich traf Hilfe in Gestalt einer einsamen, in Schwarz gekleideten Gestalt ein, die über den Platz eilte. Es war eine alte Witwe, die einen riesigen braunen Hahn auf den Armen trug.
»Was für ein Kloster ist das?«, fragte ich sie. »Wem ist es gewidmet?«
Offenbar kamen meine Worte ihrer Sprache zumindest nahe. Sie blieb stehen und schaute mich an.
»Du armer Junge! Du musst hineingehen! Die Mönche sind gut. Sie werden dir helfen.«
»Aber was für Mönche? Woran glauben sie?«
»Es sind gütige, heilige Männer. Sie werden dir helfen.«
»Bitte.« Ich packte sie am Arm. »Bitte sag es mir. Woran glauben sie?«
Sie starrte mich an. Etwas an meinem Gesichtsausdruck erschreckte sie. Sie löste ihren Griff um den Hals des Hahns, um sich zu bekreuzigen.
»Es ist ein Kloster der römisch-katholischen Kirche«, antwortete sie. »Aber nachdem es jetzt dem Maschinen-Messias überantwortet worden ist, gesegnet sei sein Name, wer weiß da schon, zu welcher Kirche es gehört.«
Der Hahn drehte mit zuckendem roten Kehllappen den Hals, um mich aus wilden, weit aufgerissenen gelben Augen anzustarren. Plötzlich gab er einen lauten, durchdringenden Schrei von sich.
»Der … Maschinen-Messias? «, murmelte ich.
»Ja.« Sie lachte leise. »Ein großes Wunder. Er ist eine Art Roboter, doch Gott hat ihm eine Seele gegeben – und zwar keine gewöhnliche menschliche Seele, sondern die eines Heiligen oder Engels!«
»Aber … ich dachte, Roboter wären … böse …«
»Ja, natürlich, und Maria Magdalena war eine Hure. Bei Gott ist alles möglich.«
Die Frau lächelte und tätschelte mir den Arm. »Geh hinein, Junge. Du hast Fieber. Sie werden dir einen Platz zum Trocknen und etwas zu essen geben.«
Ein plötzlicher Ausbruch von hektischer Bewegung und Lärm ließ mich zusammenzucken und vor Angst aufschreien. Aber es war bloß der Hahn. Er hatte einen seiner Flügel befreit und flatterte wild.
»Nein, das lässt du schön bleiben!«, schimpfte die alte Frau und packte das Tier grimmig am Hals.
»Geh hinein«, drängte sie mich mit einem Blick über die Schulter, während sie sich um den aufsässigen Vogel
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