Messias-Maschine: Roman (German Edition)
zufriedene Schnarchen von Onkel Tomo. Ich stand auf und ging ans Fenster. Draußen warfen die Bäume im Mondlicht schwache Schatten. Grillen zirpten. Heimlich und leise brannte das Universum ganz allmählich herunter wie ein Docht.
Was sonst konnte mir Absolution für mein Verbrechen an Lucy erteilen, wenn nicht ein Maschinen-Messias?
Hastig zog ich mich an, schlich mich hinaus und blieb auf dem Treppenabsatz stehen. Hier war nicht nur Onkel Tomos Schnarchen zu hören, sondern auch, im friedvollen Einklang mit ihm, das leichtere, weiblichere von Tante Nada.
Die Tür zu Marijas Zimmer stand einen Spaltbreit offen. Ich spähte hinein. Es war seltsam und anrührend zugleich: Diese Frau, die mir immer so stark und selbstbewusst vorgekommen war, schlief mit dem Daumen im Mund wie ein kleines Kind. Im Mondlicht sah sie sehr schön aus, mit ihrem dunklen Haar, das um sie herum auf dem Kissen aufgefächert lag. Und da durchzuckte mich mit einem Mal ein schmerzhafter Gedanke: Wie wäre es wohl, mit einer echten Frau neben mir im Bett zu liegen – einer Frau, die wie ich aus Fleisch und Blut bestand?
Auf ihrem Nachttisch lag ein aufgeschlagenes Notizbuch. Es war ihr Tagebuch. Am oberen Seitenrand konnte ich das Datum des gestrigen Tages ausmachen, doch alles, was sie darunter notiert hatte, war im Mondlicht unleserlich. Zweifellos hatte sie dort ihre Gedanken über mich und meine Ankunft hier festgehalten.
Ich riss eine leere Seite hinten aus dem Notizbuch und schrieb darauf: »LEBEWOHL DANKE.«
Dann schlich ich die Treppe hinunter nach draußen und durchquerte Onkel Tomos Olivenhain. Die Straße zur Küste war leer und wirkte geheimnisvoll im Mondschein. Ich trat meinen Weg an.
Kapitel 64
N ach nur einem Tag gaben meine abgetretenen Schuhe den Geist auf, und ich ging barfuß weiter, bis eine Frau sich meiner erbarmte und mir ein Paar Stiefel gab, die ihrem toten Mann gehört hatten.
Humpelnd und stolpernd ging ich weiter, durch arme, verwilderte Dörfer, über steinige Bergpfade, in verborgene Täler hinab. Während der kalten Gebirgsnächte verkroch ich mich in Höhlen und Ruinen.
Die Leute sahen mich vorbeiziehen. Manchmal boten sie mir Dinge an: Kleingeld, ein Stück Wurst, einen halben Weißkohl. Ein illyrischer Landstreicher war etwas Neues, fast schon ein Widerspruch in sich.
Man gab mir zu gleichen Teilen aus Neugier und aus Mitleid Nahrung, drückte sie mir in die Hand, um dann auf Abstand zu gehen und mir aus sicherer Entfernung beim Essen zuzuschauen.
»Ich suche den Maschinen-Messias.«
Wahrscheinlich war es ein Risiko, Interesse an einem Dämon zu bekunden, aber meine eigene Sicherheit war mir ziemlich egal. Manche schnalzten mit den Zungen und bekreuzigten sich. Andere lachten. Wieder andere schauten einander an und tippten sich an die Stirnen.
»Sind die da unten in der Stadt jetzt endgültig durch ihren sündigen Lebenswandel irre geworden?«, sagte eine fromme alte Muslimin zu einer Freundin. (Eigentlich hatte ich es wohl nicht hören sollen, aber sie war schwerhörig und verschätzte sich bei der Lautstärke ihres Flüsterns.) » Verehren die jetzt schon ihre Maschinen?«
Doch als ich weiter nach Dalmatien hineinkam, traf ich Leute, die wussten, wovon ich redete.
»Der Maschinenmann? Ich habe gehört, er wäre in Dubrovnik. Ich selbst habe ihn noch nie gesehen.«
»Nein, in Dubrovnik ist er nicht. Da war ich vor zwei Wochen, und dort hat mir jemand erzählt, er hätte ihn auf der Insel Korčula gesehen.«
»Ich habe gehört, er wäre in Ploče. Der Abt hat Soldaten geschickt, um ihn festzunehmen, aber die Leute lassen sie nicht an ihn heran.«
Derweil bewegten sich die großen tektonischen Platten der Geschichte ohne mein Wissen weiter gegeneinander. In Wien versammelten sich katholische und orthodoxe Führungspersönlichkeiten aus Südosteuropa, um über die Aussetzung ihrer zahlreichen Kriege und die Formierung einer Heiligen Allianz gegen die gottlose Stadt in ihrer Mitte zu verhandeln. Selbst der muslimische Bey von Novi Pazar hatte eine Abordnung geschickt.
Ich durchreiste Länder, mit denen meine Heimat schon bald im Krieg liegen würde.
Dann setzten tagelange, fast ununterbrochene Regenfälle ein. Meine Kleider hatten keine Gelegenheit zum Trocknen. Mir war nie warm, und meine Haut wurde aufgeschwemmt und weiß. Die Schnitte und Blasen an meinen Füßen entzündeten sich und schwollen an. Ich bekam Fieber und wurde wirr im Kopf. Meine Reise fand nun hauptsächlich im Inneren
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