Mich gibt s ubrigens auch fur immer
Plätzen an. In der Mitte sitzt â wie könnte es anders sein â Stefan und strahlt übers ganze Gesicht.
»Ich dachte, ich bin groÃzügig und überlasse euch die guten Plätze. Gang und Fenster. Das ist es doch, was Frauen wollen? Schnell auf die Toilette und die Landschaft betrachten.«
Wow, einmal ist der Junge jetzt auf einem internationalen Flughafen gewesen, und schon gibt er sich ganz weltmännisch.
»Woher wusstest du, wo wir sitzen?«
»Ich habe mich â¦Â«, weiter kommt er nicht, da unterbricht ihn schon Juli mit verzweifeltem Grinsen: »⦠in den Computer gehackt? Schon klar! Und jetzt mach Platz, Kleiner. Rück ans Fenster. Genieà die Aussicht und lass uns nebeneinandersitzen.«
Diesmal weigere ich mich, ein schlechtes Gewissen aufkommen zu lassen, nur weil Stefan enttäuscht dreinblickt.
»Ich fliege übrigens zum ersten Mal, hoffentlich wird mir nicht schlecht«, unterbricht er nach fünf Minuten kleinlaut das Gespräch, das Juli und ich gerade wieder aufgenommen haben. Er hat genauestens die Anweisungen für den Notfall studiert, die in der Tasche des Sitzes vor ihm klemmen. Die haben ihn fertiggemacht. Juli und ich seufzen schwer und lassen unsere Köpfe zurück auf die Lehnen fallen. Schlafend stellen bringt aber rein gar nichts.
»Wusstet ihr, dass man in Indien wegen Prostitution verhaftet werden kann, wenn man unverheiratet in einem Hotelbett schläft?« Stefan liest irgendeinen Reiseführer, der anscheinend so richtig in die Tiefen der Landeskultur vordringt.
»Hörst du das, Tanja? Wie schade, Stefan, dann können wir uns ja gar nicht zu dritt ein Hotelbett teilen. Darauf hatte ich mich doch schon so gefreut.«
Ich muss lachen. Stefans versonnene Miene, die sich kurz darauf in einen enttäuschten Blick verwandelt, deutet darauf hin, dass er sich gerade das von Juli beschriebene Szenario ausgemalt hat. Um dann festzustellen, dass er sich selbst die Chance auf eine Nacht mit uns beiden mit seiner Warnung vermasselt hat. Fast schmeichelhaft, dass so einem jungen Mann eine gemeinsame Nacht den Aufenthalt im Knast wert zu sein scheint. Trotzdem möchte ich jetzt lieber schlafen, als von Stefan zugequatscht zu werden.
»Wusstet ihr, dass die indische Armee eine Chili-Granate entwickelt hat, deren beiÃender Geruch den Terroristen die Luft nehmen und sie aus den Verstecken treiben soll? Ist das nicht cool? Die feurigste Granate der Welt.« Er lacht. Lieber als Tränengas wären mir ein paar K.o.-Tropfen. Stefan liest fast den kompletten Reiseführer vor. Er nimmt sich zwischendurch immer nur mal wieder kurz Zeit, um den Klingelknopf an seinem Sitz zu betätigen, damit die Stewardess kommt und ihm Getränkenachschub bringt. Erstaunlich, wie viel Cola in seinen schmalen Körper reingeht. Vielleicht genieÃt unser entzückender Kleiner es auch einfach nur, dass erwachsene Frauen für ihn springen.
»Ob wir wohl eine Witwenverbrennung oder Sativerbrennung, wie sie im Indischen genannt werden, sehen?«, fragt Stefan mit angeekelter Begeisterung. Ich denke, jetzt wird es doch langsam Zeit, ihm das Koffein wegzunehmen. Er ist nicht zu bremsen. »Ich meine, die sind natürlich streng verboten. Und irgendwie auch unethisch, so wie Stierkampf oder so â¦Â«
»Halt die Klappe!«, rufen Juli und ich gleichzeitig.
»Ich weià gar nicht, was ihr habt. Das sichert die Monogamie.«
»Wie bitte?«
»Na, Frauen leben doch sonst länger als Männer. Beseitigt man die Witwen, rennen nicht so viele Alleinstehende rum, die anderen die Männer abspenstig machen oder sich ihr Geld mit Prostitution verdienen müssen, weil niemand mehr für ihren Unterhalt aufkommt.«
»Gleich wird mir übel«, sagt Juli entgeistert. »Und das gibt es da noch?«
Ertappe mich dabei, dass ich für einen Sekundenbruchteil darüber nachdenke, ob das nicht auch für unsere Kultur eine Lösung wäre. Vielleicht nicht nur beim Tod des Mannes, sondern direkt, wenn die Beziehung in die Brüche geht. Das würde die Menschen einerseits von voreiligen Trennungen abhalten, andererseits gäbe es keine Ex-Freundinnen. Meine Freundinnen und ich wären dann allerdings auch schon lange tot. Irgendwie sind wir ja alle Ex-Freundinnen von irgendjemandem.
Juli seufzt schwer, lässt eine der Frauenzeitschriften sinken, mit denen sie sich eingedeckt hat und nickt weg.
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