Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Titel: Mich gibt s ubrigens auch fur immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seidel Jana
Vom Netzwerk:
Tisch. Sie tragen teils Saris, teils ausgewaschene Jeans mit dekolletierten Tops. Um die Kleiderordnung müssen wir uns offenbar nicht so viele Gedanken machen. Hatte schon gelesen, dass Kerala mit dem höchsten Bildungsgrad in Indien aufwarten kann und man sich insgesamt etwas aufgeschlossener gibt. Frage mich, ob Bildung und knappe Klamotten irgendwie zusammenhängen. Und wenn ja, wie? Werden mit mehr Geld die Klamotten knapper? Wenn ja, wieso? Weil man mit mehr Kohle mehr Zeit hat, den Luxuskörper ansehnlich zu pflegen?
    Aninda stellt uns allen eine Schüssel vor die Nase. Ich fühle mich schlagartig ausgehungert. Allerdings sehe ich nirgendwo Besteck.
    Â»Soll ich mal nach einem Löffel fragen?«, raunt Juli mir zu. Wir schauen uns unauffällig um und stellen fest: Es wird selbstverständlich mit dem Händen gegessen – und das mit mehr Geschick, als ich mir selbst zutraue.
    Â»So«, sagt Stefan und erklärt uns mit ausladenden Handbewegungen die Tischsitten des Landes.
    Â»Irgendwann verhaue ich den noch«, knurrt Juli, folgt dann aber doch seinem Beispiel. Man muss den Reis mit der Soße mischen und dann kleine Bällchen formen, die sich leicht in den Mund befördern lassen.
    Ein paar Leute schauen uns irritiert an. Zuerst denke ich, sie sind vielleicht von unserer Hautfarbe oder auch nur unserem Ungeschick fasziniert, tatsächlich sind es aber leider unsere schlechten Manieren, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
    Â»Ihr müsst die rechte Hand nehmen«, zischt uns Stefan zu. »Die linke ist unrein und für die Toilette gedacht.«
    Â»O.k!«, sagt Juli. »Morgen kaufen wir Besteck und Klopapier! Im Zimmer war tatsächlich keins. Und ich nehme ganz sicher nicht meine linke Hand dafür her.«
    Insgeheim pflichte ich ihr bei, frage mich aber, wenn ich Stefans unverfälschte Freude an allem, was nicht wie bei ihm zu Hause ist, so betrachte: Sind wir schon wie die schrecklichen Touristen, die man früher als korrekter Backpacker immer gehasst hat? Solche, die überall nur halbe Hähnchen futtern wollen und die heimischen Hygienestandards erwarten, während man selbst alles ganz wunderbar findet und sich sogar noch über unglaublich »authentischen« Dreck freut? Von diesem Rucksack-Ding bin ich ein wenig ab. Das liegt daran, dass man auf diesen Individualtrips immer so viele andere Individualreisende auf der Suche nach einer total authentischen Erfahrung trifft. Irgendjemand hat immer einen »Lonely Planet«-Reiseführer zur Hand, bei dessen hoher Auflage aber auch die einsamsten Planeten eher überfüllt sein müssten. Wie durch ein Wunder waren alle in der gleichen Insiderbar in Bangkok und haben auf der gleichen Plantage in Chile Setzlinge eingepflanzt. Und warum man diese Erfahrungen vorrangig in armen Ländern suchen und dann einen Wettbewerb daraus veranstalten muss, dort möglichst wenig Geld zu lassen, ist mir auch nicht ganz klar. Denn meist stammen diese Reisenden aus wohlhabenden Elternhäusern, oder sind selbst schon angehende Zahnärzte, Anwälte oder – falls sie aus einem Lehrerhaushalt stammen – Geografen. Hat das nicht ein bisschen etwas von Elendstourismus? Mir schwirrt der Kopf. Dennoch sind dies Fragen, die mich ein wenig vor der aufsteigenden Vater-Treff-Panik ablenken.
    Ich teile Juli meine Gedanken mit, die unseren Wechsel auf die böse Seite der Macht gelassen nimmt.
    Â»Vielleicht mit dreißig …«, bestimmt sie. »Vielleicht verliert man mit dreißig die Eigenschaft, sich über Durchfall zu freuen – das zwangsläufige Resultat«, sie zwinkert mir verschmitzt zu, »der Aufgeschlossenheit gegenüber jeder Art von fremden Speisen.«
    Ich fühle mich trotzdem alt. Morgen werde ich an irgendeinem Straßenstand irgendetwas Außergewöhnliches und besonders Billiges essen. Am besten mit rohem, ungeschältem und ungewaschenem Gemüse garniert!
    Das Indien, über das ich gelesen habe und das ich aus Filmen kenne, muss anderswo sein, stelle ich bei unserem Spaziergang nach dem Essen fest. Wir zumindest durchwandern ein zerfallenes Stück Europa. Wir entdecken eine Franziskanerkirche, in der einst die Gebeine Vasco da Gamas lagen, einen holländischen Palast, eine Synagoge und am Strand chinesische Fischernetze. Am Ende ist mir ein wenig übel – weil ich unbedingt alle Sorten der verlockend aussehenden Barfis probieren musste –

Weitere Kostenlose Bücher