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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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jemand daran Anstoß, so pflegte er ihm frei ins Gesicht zu sehen und zu sagen: »Ich achte jedermanns Ansicht und bin der Meinung, daß jeder das Recht hat, selbständig zu denken. Aber ich fordere dasselbe für mich – mit um so mehr Grund, als ich Ausländer bin. Da ich nun einmal über euren nationalen Streitigkeiten stehe, kann ich die Dinge von einer höheren Warte aus betrachten als jene, die davon betroffen sind.«
    Jedermann mußte zugeben, daß er klug und gut sprach, wie es einem so ritterlichen Herrn geziemte; wenn auch die weniger Aufgeklärten hinzufügten, er kenne die Jüten nicht, die verräterisch und falsch seien.
    Mir bereiteten unsere Reisen viel Vergnügen, da Herr Didrik, um seine Absichten zu verschleiern, jeden Heiligenschrein der Stadt besuchte. Einmal ritten wir nach Nadendal, wo Madame Agnes Spitzen kaufen wollte, die dort im Konvent hergestellt wurden und von denen es hieß, sie kämen den flandrischen gleich.
    Ich brauche nicht zu sagen, wie verblendet und verzaubert ich von ihrer Anmut und Schönheit war; doch war ich mir meiner bescheidenen Stellung bewußt und außerdem zu jung und unerfahren, als daß ich mir auch nur träumen ließ, meine Augen so hoch zu erheben.
    Nach unserer Rückkehr von Nadendal wollte ich mich eben am Tor der Taverne verabschieden, als sie mir tief in die Augen sah, schwer seufzte und sprach: »Ich habe diese langweilige Stadt und die Bauerntölpel, die darin leben, satt. Kommt mit herein, Michael, und trinkt ein Glas Wein mit mir. Mein Bruder läßt mich den ganzen Tag allein, und ich weiß nicht, wie ich die Zeit totschlagen soll.«
    Sie führte mich auf ihre Kammer, die von Wohlgerüchen so erfüllt war, daß mir war, als schritten wir aus den vielen eklen Gerüchen der Taverne in einen Rosengarten.
    Nachdem wir unseren Wein in kleinen Schlucken geleert hatten, brach Madame Agnes leidenschaftlich aus: »Wollte Gott, daß die Angelegenheit so oder so erledigt werden könnte. Dieses ewige Warten bedrückt mich. Mein rastloses Wanderleben ist mir ins Blut geschlagen, so daß ich niemals lange am selben Ort aushalten kann. Ich weiß, ich kann in diesem Lande nicht von Nutzen sein, meine Geschicklichkeit ist überflüssig, da selbst erfahrene Männer aus freien Stücken in die Schlingen meines Bruders tappen. Aber nun weiß ich, daß die Flotte des Königs vor Stockholm liegt und wir jeden Tag Nachricht von der Schlacht erhalten können. Das wird auch hier das Zeichen zum Losschlagen sein, wenn es König Christian nicht gelingt, Blutvergießen durch Verhandlungen zu vermeiden.«
    »Madame«, erwiderte ich, »welche Rolle ist mir bei alledem zugedacht? Jeden Morgen erwache ich mit einem tödlichen Schmerz im Herzen, da ich nicht weiß, ob ich recht oder unrecht handle. Ich kann die forschenden, verdächtigen Blicke, die mir allenthalben zuteil werden und mich schmerzen, als wären sie offene Beschuldigungen, nicht mehr lange ertragen. Wenn in meiner Heimatstadt Blut fließt, so wird mich jeder Tropfen auf der Seele brennen. Und ich werde keine friedliche Stunde mehr kennen.«
    Sie lachte hell auf, streichelte meinen Hals und meinte: »Ihr habt einen schwachen, schlanken Hals, wie es einem Kleriker geziemt; er ließe sich leicht abschneiden! Aber denkt daran, Michael, wo gehobelt wird, fliegen Späne. Die Staatskunst läßt sich mit der Kunst des Hobeins vergleichen, und wenn dabei überhaupt etwas erreicht werden soll, müssen viele Späne fallen.«
    »Das sind unverantwortliche, sündige Worte«, versetzte ich. »Ein Mensch ist kein Span, den man achtlos abhobelt.«
    »Nein?« Sie sprach leise und nahm meine Hand in die ihre. »Ihr Finnen seid wirklich ein langsames und lustloses Volk, und ich möchte wissen, ob euch überhaupt etwas in helle Flammen setzen könnte. Auch Ihr, Michael; Ihr seid ja ärger als der keusche Josef! Ich kann nur annehmen, daß ich in dieser verfluchten Stadt alt und häßlich geworden bin, denn jeder andere, der mit mir allein beim Wein säße, hätte anderen Gesprächsstoff gefunden als gerade Hobelspäne. Versteht Ihr nicht, Michael, daß ich mich bis zum Überdruß langweile?«
    Ich traute meinen Ohren nicht und fragte: »Ihr meint doch nicht, Madame, daß ich Euer Vertrauen mißbrauchen und Euren Bruder betrügen sollte, der mir Eure Ehre anvertraut hat – daß ich mich an Euch versündigen und Euch in eine Versuchung führen sollte, die für uns beide zu stark sein könnte?«
    Sie brach in ein so helles Gelächter aus, daß auch

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