Michelle Obama – Ein amerikanischer Traum
Universitäten wie Princeton sind sozial und akademisch darauf ausgerichtet, die Bedürfnisse der weißen Studenten zu befriedigen, die die Mehrzahl der Immatrikulierten stellen.»
Die Schilderungen gehen zu Herzen. Sie erhellen, was Michelle in diesem Lebensabschnitt bewegte und mit welchen Herausforderungen sie sich konfrontiert fühlte. Weniger verständlich ist, warum diese Sätze in den USA immer wieder mit der Bedeutungsschwere einer bleibenden Allgemeingültigkeit zitiert werden. Es ist doch offenkundig, dass Michelle ihre düsteren Zukunftsahnungen relativ rasch widerlegte. Sie blieb nicht am Rande der Gesellschaft, ohne je ein vollwertiges Mitglied werden zu dürfen. Ihr Schwarzsein hat ihr auch nicht nur Ausschluss und Nachteile eingebracht. Im Gegenteil, ihre steile Karriere hat sie neben ihrer Begabung und Durchsetzungskraft auch dem Umstand zu verdanken, dass Weiße sie gerade deshalb besonders unterstützten, weil sie eine Afroamerikanerin ist. Gut 23 Jahre nach Abschluss dieser Arbeit ist sie nicht nur in der Mitte einer von Weißen dominierten Gesellschaft angekommen, sondern an deren Spitze: im Weißen Haus.
Die Sätze zeigen die Gedanken einer jungen Frau, deren Einstellungen, Lebenserfahrungen und politische Überzeugungen noch nicht gefestigt sind, sondern sich allmählich heraus bilden. Dazu gehört es, dass junge Menschen auch einmal radikalere Gedanken erproben. Im Rückblick können sie leicht überzogen wirken. Michelle schreibt selbst in einer Passage, man möge berücksichtigen, unter welchem Zeitdruck solche Abschlussarbeiten entstehen. Da soll man nicht jede Formulierung auf die Goldwaage legen – und darf unter Berücksichtigung anderer Quellen auch ruhig einmal bezweifeln, dass manche Aussagen so apodiktisch gemeint sind, wie sie klingen. Doch darf eine First Lady zugeben, dass sie in einer Studienarbeit im Alter von 21 Jahren vielleicht mit einigen Urteilen über das Ziel hinausgeschossen ist?
Ihre Erfahrungen in den vier Jahren in Princeton waren viel komplexer. Das zeigen erstens die Erzählungen von Mitstudentinnen und -studenten, die trotz der Maulkorb-Bemühungen des Wahlkampfteams offen mit Journalisten gesprochen haben. Das beschränkt sich auf ein knappes Dutzend Artikel im «Boston Globe», der «New York Times», der «Washington Post» sowie in den Magazinen «The New Yorker», «Newsweek» und «Ebony». Dort finden sich zweitens auch einige wenige Auskünfte aus dem Mund Michelles, ihrer Mutter und ihres Bruders; sie lassen den Schluss zu, dass es ihr nicht ganz so schlimm erging, wie es die obigen Zitate nahelegen. Der Eindruck, dass man ihre Prägung in Princeton nicht auf diese zwei, drei Textpassagen reduzieren darf, wird drittens aber auch in ihrer Bachelor-Arbeit deutlich. Man muss sie dafür allerdings in ihrer Gesamtheit ernst nehmen.
Michelles Bruder war ein hochpopulärer Basketballstar ihrer neuen Hochschule. Wie plausibel klingt da die Annahme, die Schwester des bewunderten Sportlers sei auf dem Campus missachtet oder ignoriert worden? Es ist viel wahrscheinlicher, dass ein Teil seines Glanzes auf sie abfiel. Studienkolleginnen wie Lisa Rawlings haben das im Übrigen bestätigt. Michelle habe dank Craig sehr rasch viele neue Leute kennengelernt. Craig hat mehrfach mit einer ironischen Note darüber gesprochen, so als habe seine Präsenz es für sie schwerer gemacht, mit Jungen zu flirten. Es habe womöglich ab schreckend gewirkt, dass seine brüderlichen Augen über ihren Lebenswandel wachten. «Ich bin ihr vielleicht manchmal im Weg gewesen.» Manche Studenten hätten sich nicht getraut, mit Michelle auszugehen, weil ihr Bruder in der Nähe war.
Ihre Mutter Marian kann sich nicht erinnern, dass Michelle in den Studienjahren je in derselben Schärfe von der angeblich so schwarzenfeindlichen Atmosphäre in Princeton berichtet habe, wie sie es in den gängigen Zitaten aus ihrer Studienarbeit beschreibt. «Darüber hat sie uns nicht viel erzählt», sagte sie Ende Februar 2008 dem Magazin «Newsweek», als die Medien sich intensiver mit der Bachelor-Arbeit befassten. «Ich habe das erst jetzt der Lektüre verschiedener Artikel entnommen, dass sie damals so ein Gefühl hatte, als unterscheide sie etwas von den anderen Studenten. Davon hat sie sich (damals) nicht beeinträchtigen lassen.»
Zuflucht in der Dritten Welt
Woher kommt dann die Vehemenz in diesen Sätzen? Erstens lesen sie sich im Kontext der Arbeit gar nicht so scharf, wie sie aus dem Zusammenhang
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