Mick Jagger: Rebell und Rockstar
einmal so weit ist, wird euch das mit uns nicht passieren, ich will das nicht.«
Die Straße besaß geradezu eine Schlüsselfunktion für den Gegenschlag der Stones. Das Album, das sie in Paris aufnahmen, als die Pistols gerade ihr Rolling Stone -Interview gaben, enthält zahllose Anspielungen auf die Straße, so etwa in »When The Whip Comes Down«, wo die Stricherstraßen von Manhattan erwähnt werden, über die die Ramones auch in »53rd & 3rd« auf ihrem Debütalbum singen. »Shattered« beschreibt einen madigen »Big Apple« voller janusköpfiger Trittbrettfahrer und Menschen, die Mülltüten »as some kind of fashion« mit sich rumtragen.
Musikalisch gesehen hatte Some Girls einiges zu bieten: großartigen Blues-Pop (»Beast of Burden«), eine Country-Parodie (»Far Away Eyes«, bei dem Mick sein parodistisches Talent hervorragend zur Geltung bringt), Soul (das Temptations-Cover »Just My Imagination«) und Disco-Sound (»Miss You«). Vor allem aber handelte es sich um kurze, knackige Songs, anders als die Nummern auf den vorangegangenen drei Alben, denen man noch anmerkte, dass sie im Verlauf ausufernder Sessions entstanden sind. »Lies« klingt ähnlich rotzig und aggressiv wie irgendein Song von den Sex Pistols, den Adverts oder The Clash. In »Respectable« macht sich Mick über das neue Image der Band als Stütze der Gesellschaft lustig, indem er witzelt: »We’re talking heroin with the president …« Hatten sie es also wieder einmal geschafft, es allen zu zeigen? Ja, insofern es zweifellos das beste Stones-Album seit Exile on Main Street war (womit ich übrigens nicht gerade eine Außenseitermeinung vertrete). Nein, insofern sich der Punk zu der Zeit, als das Album auf den Markt kam, längst weiterentwickelt hatte und gerade Postpunk und New Wave angesagt waren. Some Girls war gewiss ein großartiges Album, doch es bot mehr oder weniger Altbackenes. Die Stones waren zwar »wieder gut«, aber sie hatten nichts bahnbrechend Neues zu bieten. Sie wollten lediglich zur alten Form zurückkehren – das hatten sie zwar geschafft, dennoch wirkte das Ganze ziemlich abgedroschen. »Die vermeintlichen Punksongs waren vom Prinzip her nichts anderes als schnell gespielte Stones-Songs«, so Needs.
Wesentlich mehr auf der Höhe ihrer Zeit zeigte sich die Band durch ihre Zusammenarbeit mit Peter Tosh, der das Vorprogramm der Stones auf ihrer nächsten Nordamerika-Tour bestritt. Obschon die Kultur der Westindischen Inseln schon lange ein wichtiges Element im England der Nachkriegszeit gewesen war, entwickelten die junge Briten erst vergleichsweise spät, aber dann fast über Nacht ein enormes Interesse an Reggae und Dub. Die Sex Pistols lösten sich im Winter 78 während ihrer US-Tour auf. Johnny Rotten und sein langjähriger Freund Jah Wobble gründeten zusammen mit dem Gitarristen Keith Levene die Band Public Image Limited und begannen, ausgefeiltere und längere Songs zu Wobbles vom Dub inspirierten Bassläufen zu schreiben. The Clash veröffentlichten auf ihrem Debütalbum eine Coverversion von Junior Murvins »Police and Thieves«. Aus Coventry in den britischen Midlands stammten The Specials, deren Label-Logo einen skankenden Rude Boy namens Walt Jabsco darstellte, die Cartoon-Version eines Bildes von Tosh auf einem Albumcover aus den frühen 60ern. Reggae und Dub waren dank DJ Don Letts vom Roxy schon immer die Musik gewesen, die die Punks gehört hatten. »Die Szene steckte damals noch so sehr in den Kinderschuhen, dass es noch gar keine Punkrockplatten gab, die man hätte spielen können«, erklärte mir Letts während eines Interviews für Spin im Jahr 2009. »Also legte ich die Sachen auf, die ich gerade hörte: Big Youth, Prince Far I, Toots and the Maytals. Ich hatte Glück, dass mein Publikum die Sachen auch mochte. In England hatten weiße Jugendliche aus der Arbeiterklasse schon lange ein Faible für die Musik der Schwarzen. Die Beatles und die Stones haben ja auch schon die Musik der Schwarzen vom Mississippi Delta gehört. Der Unterschied zu der jamaikanischen Musik der späten 70er bestand darin, dass die Jugendlichen jetzt von einer Musik und einer Kultur fasziniert waren, die an ihrer eigenen Lebenswirklichkeit wesentlich näher dran war.« Indem sie Peter Tosh 1979 bei Rolling Stones Records unter Vertrag nahmen – in dem Jahr, in dem »Gangsters« von den Specials, »Madness« von der gleichnamigen Band und »Tears of a Clown« von den English Beats die britischen Charts stürmten –,
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