Mick Jagger: Rebell und Rockstar
übrigens typisch für Mick Jaggers Art und Weise, dem anderen Geschlecht Avancen zu machen. Warren Beattys Art war das nicht, ebenso wenig die des US-Basketballstars Wilt Chamberlain. Gene Simmons machte das ähnlich, aber er war sich dessen nicht bewusst. Von allen legendären Frauenverstehern der Post-Antibabypillen- und Prä-AIDS-Ära war Mick Jagger der Einzige, der den Dreh wirklich raus hatte: »Das ist alles nur Spaß. Ich meine es eigentlich gar nicht so.« Seine Ironie vermag viele seiner Verhaltensweisen zu relativieren, die, wenn sie ohne jegliches Augenzwinkern daherkommen, als ziemlich abstoßend empfunden werden können und auch wurden.
Wie damals, als Mick Jagger die achtzehnjährige Mackenzie Phillips, die Tochter seines Freundes John Phillips, unter dem Vorwand, für alle ein paar Thunfisch-Sandwiches zuzubereiten, von einer Cocktailparty weggelockt haben soll. Mackenzie zufolge bat Mick ihren Vater darum, Mayonnaise zu besorgen (weil keine mehr im Haus war). Während John einkaufen ging, soll Mick sich mit Mackenzie in dem Bett vergnügt haben, das er sonst mit Jerry Hall teilte. »Mein Vater kam zurück, hämmerte gegen die Tür und schrie: ›Ich weiß, dass meine Tochter bei dir da drin ist!‹«, erinnert sie sich. Oder man denke an die Geschichte, als der »sexbesessene« Mick splitterfasernackt aus der Dusche eines Brüssler Hotelzimmers kam, um sich dem Kindermädchen vorzustellen, das sich eigentlich um die Sprösslinge von Mick Jagger und Jerry Hall kümmern sollte. »Ich wusste überhaupt nicht, wo ich hingucken sollte«, erklärte die Frau später dem britischen Boulevardblatt Daily Mirror . »Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass er mir seine Hand entgegenstreckte und sagte: ›Hi, ich bin Mick.‹ Ich war so perplex und wusste ehrlich gesagt in dem Moment überhaupt nicht, was ich mit der mir entgegengestreckten Hand anfangen sollte!«
© CK Photo/Keystone
Mick mit seiner neuen Freundin Jerry Hall, die er dem Rock-Gentleman Bryan Ferry ausgespannt hatte, 1978.
Keine Frage, Mick Jagger ist ein ziemlicher Schwerenöter. Dass er neben den männlichen auch weibliche Züge besitzt, macht seine Attraktivität aus, weshalb sich seit den 60er-Jahren Männer wie Frauen gleichermaßen von ihm angezogen fühlten. Es gibt eine berühmte Szene in Miloš Formans Verfilmung des Musicals Hair , in welcher der Gefängnispsychologe den blonden Woof fragt: »Fühlen Sie sich von Männern sexuell angezogen?« Worauf er zur Antwort bekommt: »Na ja, Mick Jagger würde ich nicht von der Bettkante stoßen, aber homosexuell bin ich nicht.« Junge, männliche Rockfans waren Mick aus anderen Gründen zugetan als Keith. Mick war ein Verführer, jemand, der ein ungeheures sexuelles Selbstvertrauen ausstrahlte. Humor und Selbstironie sind entscheidende Zutaten für eine solch große Anziehungskraft. In Christopher Isherwoods kürzlich veröffentlichten Tagebüchern aus den 60er-Jahren ist zu lesen, dass Mick dem Schriftsteller anvertraut habe, der wahre Grund dafür, dass die Beatles den Ashram des Maharischi damals Hals über Kopf verlassen hätten, sei gewesen, dass der Erleuchtete einen von ihnen bedrängt hätte (und nicht etwa Mia Farrows Schwester Prudence, wie immer wieder gemunkelt wurde). »Sie sind einfache Jungs aus dem Norden; sie sind in dieser Hinsicht schrecklich verklemmt.« Abgesehen von ein paar ganz frühen sexuellen Erfahrungen und der von Angie Bowie verbreiteten Anekdote, sie habe Mick mit ihrem Gatten David im Bett erwischt, deutet nichts darauf hin, dass Mick je etwas anderes war als ein Schürzenjäger. Auch wenn Mick, als er ganz zu Beginn der 60er mit Keith und Brian am Edith Grove lebte, seine Mitbewohner manchmal mit erstaunlich tuntigen Tanzeinlagen irritiert haben mag. Es war ein Spiel, mehr wohl nicht. Ein Beleg dafür ist nicht zuletzt auch die lange Liste der gutaussehenden Frauen, hinter denen er her war, die er geliebt und zuweilen auch verletzt hat: Brigitte Bardot, Marianne Faithfull, Patti D’Arbanville (die Muse von Cat Stevens, die eine Zeit lang auch zum engeren Umfeld von Andy Warhol gehörte), Marsha Hunt, Bianca Jagger, Pamela Des Barres, Bebe Buell (die Muse von Todd Rundgren und Elvis Costello) sowie in späteren Jahren Angelina Jolie und Sophie Dahl.
Es scheint so zu sein, dass es Mick Jagger sehr schwer fällt, treu zu sein. Der emotionale Mangel oder Vorbehalt, der dem zugrunde liegt, mag dafür verantwortlich sein, dass Mick immer wieder daran
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