Mick Jagger: Rebell und Rockstar
dumpfe, völlig abgedrehte Version des Stones-Hits aufgenommen. The Strand, eine frühe Band der späteren Sex-Pistols-Musiker Glen Matlock, Steve Jones und Paul Cook spielten bei ihren Proben vor allem Sixties-Klassiker von den Stones, The Who und den Small Faces. Punks in Europa und in den USA ließen sich vom Nuggets -Sampler inspirieren, auf dem hauptsächlich amerikanische Bands zu hören waren, die ihren Idolen der British-Invasion-Welle nacheiferten (hört euch »She Said Yeah« von den Stones an und in weniger als drei Minuten erhaltet ihr mehr oder weniger einen Eindruck vom amerikanischen Garagenrock). In seinem berühmten Essay über den Punk, England’s Dreaming , schreibt Jon Savage: »Völlig ahnungslos im Hinblick auf die Musik, die vor ihrer eigenen Haustür gespielt wurde, kopierten die meisten dieser Bands weiße britische Popgruppen, wie die Rolling Stones oder die Yardbirds, die selbst wiederum versuchten, den Geist der schwarzen amerikanischen R’n’B-Musik einzufangen. Dieser doppelte Bruch führte zu einem rein weißen Arbeiterklassen-Stil, aus dem jeglicher schwarze Rhythmus zugunsten von simpler Songstruktur und purem Lärm eliminiert worden war.« Das sensationelle Punktrio The Jam kleidete sich sogar wie eine geleckte Version der 60er-Jahre Mod-Style-Stones. Die Stones selbst liefen natürlich schon lange nicht mehr so rum. Hätten sie es getan, wären sie für ihr modisches Beharrungsvermögen womöglich belohnt worden. Man schaue sich nur die Ramones oder Lemmy von Motörhead an (oder in diesem Zusammenhang gerne auch Keith Richards); man betrachtet sie als Bollwerke der Integrität, und zwar hauptsächlich deshalb, weil ihnen ihr unveränderter Look die Aura absolut verlässlicher Actionhelden verleiht. Lemmy könnte man aus der Erinnerung zeichnen. Mick Jagger war dazu zu unbeständig. Er wechselte seine Outfits, seine Looks und seine Sounds. Genauso wie die Punks langweilte er sich schnell.
Man muss sich nur irgendeine Dokumentation über die Anfangszeit des Punk ansehen – zum Beispiel Julien Temples The Filth and the Fury – und man wird mit Geräuschen und Bildern von sozialen Unruhen, Rassismus und ökonomischer Unterdrückung konfrontiert (ebenso wie mit der diesbezüglichen Gleichgültigkeit vonseiten der Regierung und des Königshauses). Die Sex Pistols waren aus der Verzweiflung heraus entstanden, sie waren ebenso ein Produkt ihres sozialen Umfelds wie später N.W.A. und Nirvana. Als Malcolm McLaren drei Major-Label um ihre stattlichen Vorschüsse prellte, schien es fast so, als sei Robin Hood in den Sherwood Forest zurückgekehrt. Die Stones trugen mit zum Rock’n’Roll Swindle bei, wenn sie Geld für glanzlose Alben wie Black and Blue einsackten oder für chaotische Tourneen, die wegen Keiths Problemen ständig auf der Kippe standen. Etwa zu dieser Zeit entwarfen Malcolm McLaren, seine damalige Partnerin Vivienne Westwood und der zukünftige Clash-Manager Bernie Rhodes ein T-Shirt, das man gewissermaßen als eine Art Manifest ansehen kann. Der aufgedruckte Slogan lautete: »Eines Morgens wachst Du auf und wirst wissen, auf welcher Seite des Bettes du gelegen hast.« Darunter standen zwei Listen, die Menschen und Dinge in die Kategorien Meistgeliebt und Meistgehasst einteilten. Marianne Faithfull taucht irgendwo im mittleren Teil der Meistgeliebt-Liste auf unter Joe Orton, Lenny Bruce, der Warhol-Attentäterin Valerie Solanas sowie »Zoot Suits und Dreadlocks«. Mick Jagger steht fast ganz oben auf der Meistgehasst-Liste, er wird nur noch übertroffen von dem Eintrag »Television (not the group)«.
»Die entscheidenden Tropfen, die das Fass zum überlaufen brachten und die Punks wachrüttelten, waren die Earls-Court-Shows von 1976«, erklärt der langjährige britische Musikjournalist Kris Needs. Er bezieht sich dabei auf die Tour, mit der die Stones Black and Blue promoteten. Höhepunkt der dekadenten Show war ein riesiger, aufblasbarer Penis, den eine Windmaschine aufbließ, während die Band »Star, Star« spielte. »Die Jungs von The Clash und den Sex Pistols waren unter den Zuschauern. Der Sound war miserabel, die Band wirkte lustlos und die Eitelkeit, mit der Mick sich diesen aufblasbaren Schwanz zwischen die Beine klemmte, war unfassbar. Es war einfach nur geschmacklos.«
1977 hatte Keith schwerwiegendere Probleme, als in den Augen irgendwelcher Typen belanglos zu sein. Er hing noch immer an der Nadel, und er wurde dafür vor Gericht gestellt. Nachdem man ihn
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