Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
Normales.«
»Ich spreche hier allerdings nicht von irgendwelchen Differenzen und dem normalen Auf und Ab einer Geschäftsbeziehung. Ich frage Sie nach einem Brief, den Ihnen Mr. Bondurant kurz vor seiner Ermordung geschrieben hat und in dem er Ihnen gedroht hat, betrügerische Praktiken seitens Ihrer Firma offenzulegen. Der Eingang des eingeschriebenen Briefs wurde von Ihrer Sekretärin bestätigt. Haben Sie ihn gelesen?«
»Ich habe ihn überflogen. Meiner Meinung nach deutete er darauf hin, dass einer meiner einhundertfünfundachtzig Mitarbeiter es mal irgendwo nicht so genau genommen hatte. Das war ein harmloser Streitpunkt, und nichts daran hatte den Charakter einer Drohung, wie Sie es bezeichnen. Ich habe dem zuständigen Sachbearbeiter gesagt, die Sache zu bereinigen. Das ist alles, Mr. Haller.«
Aber das war nicht alles, was ich über den Brief zu sagen hatte. Ich ließ ihn Opparizio den Geschworenen vorlesen und stellte ihm im Verlauf der nächsten halben Stunde zunehmend spezifischere und unangenehmere Fragen über die darin geäußerten Behauptungen. Dann kam ich auf den Federal Target Letter zu sprechen und bat den Zeugen, auch dieses Schreiben vorzulesen. Aber auch hier ließ sich Opparizio nicht aus der Ruhe bringen und tat das Schreiben als einen Schuss ins Blaue ab.
»Ich habe sie ohne Vorbehalt eingeladen, uns einen Besuch abzustatten«, erklärte er. »Aber wissen Sie was? Es ist niemand aufgetaucht. Ich habe seither nicht mehr ein Wort von Mr. Lattimore oder Agent Vasquez oder sonst einem Agenten einer Bundesbehörde gehört. Weil bei ihrem Schreiben nichts herausgekommen ist. Ich bin nicht weggelaufen, ich bin nicht ins Schwitzen geraten, ich habe nicht ›foul‹ geschrien oder mich hinter einem Anwalt versteckt. Ich habe ihnen gesagt, mir ist klar, Sie tun nur Ihre Pflicht, kommen Sie also ruhig zu uns und sehen sich alles an. Unsere Türen stehen Ihnen offen, wir haben absolut nichts zu verbergen.«
Es war eine überzeugende und gut einstudierte Antwort, und die ersten Runden gingen eindeutig an Opparizio. Aber das machte nichts, weil ich mir meine besten Schläge aufgespart hatte. Ich wollte, dass er das Gefühl bekäme, alles im Griff zu haben. Über Herb Dahl war er die ganze Zeit mit einer Diät aus ›kein Grund zur Besorgnis‹ gefüttert worden. Er war in dem Glauben bestärkt worden, dass ich nichts gegen ihn hätte als ein paar fadenscheinige Hinweise auf ein Komplott, die er so mühelos abschmettern könnte, wie er es gerade tat. Seine Zuversicht wuchs. Aber wenn er zu zuversichtlich und selbstzufrieden wurde, würde ich angreifen und zum K.o. ansetzen. Dieser Kampf würde nicht über fünfzehn Runden gehen. Das war gar nicht möglich.
»Zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Briefe eingingen, führten Sie gerade geheime Verhandlungen, ist das richtig?«
Zum ersten Mal, seit ich ihm meine Fragen stellte, zögerte Opparizio.
»Ich habe zu diesem Zeitpunkt vertrauliche Geschäftsgespräche geführt, wie ich das fast die ganze Zeit tue. Wegen des negativen Beigeschmacks würde ich hier allerdings nicht das Wort ›geheim‹ verwenden. Geheimhaltung hat immer etwas Anrüchiges, obwohl es eine Selbstverständlichkeit ist, dass solche Gespräche vertraulich sind.«
»Okay, dann wurde also in diesen vertraulichen Gesprächen darüber verhandelt, Ihre Firma ALOFT an ein börsennotiertes Unternehmen zu verkaufen, ist das richtig?«
»Ja, das stimmt.«
»Ein Unternehmen namens LeMure?«
»Ja.«
»An diesem Geschäft hätten Sie sehr viel Geld verdient, richtig?«
Freeman stand auf und bat, an die Richterbank kommen zu dürfen. Wir gingen nach vorn, und sie legte ihren Einspruch mit einem eindringlichen Flüstern ein.
»Wo ist da die Relevanz? Wohin soll das führen? Jetzt bringt er uns an die Wall Street, und das hat absolut nichts mit Lisa Trammel und den Beweisen gegen sie zu tun.«
»Euer Ehren«, sagte ich rasch, bevor mir Perry das Wort abschneiden konnte. »Die Relevanz wird bald ersichtlich werden. Ms. Freeman weiß genau, wohin das führt, nur will sie nicht dorthin. Aber das Gericht hat mir den Spielraum eingeräumt, eine Verteidigung vorzubringen, zu der die Schuld einer dritten Partei gehört. Und darum handelt es sich hier, Euer Ehren. Jetzt sind wir endlich an dem Punkt, an dem alles an den Tag kommen wird, und deshalb bitte ich weiterhin um Nachsicht des Gerichts.«
Perry musste nicht allzu lange überlegen, bevor er antwortete. »Mr. Haller, Sie dürfen fortfahren,
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